Sonntag, 28. Juni 2020

Mensch und Natur eine ontologische Differenz - oder vom Mehrwert der Pflanzen


In seinem Buch Nanna oder über das Seelenleben der Pflanzen (1848) fragt der Naturphilosoph und Physiker Gustav Theodor Fechner: „Warum soll es zu den Seelen, die da laufen, schreien und fressen, nicht auch Seelen geben, die still blühen, duften, im Schlürfen des Thaues ihren Durst, im Knospentriebe ihren Drang, im Wenden gegen das Licht noch eine höhere Sehnsucht befriedigen? Ich wüßte doch nicht, was an sich das Laufen und Schreien vor dem Blühen und Duften für ein Vorrecht voraus hätte. Träger einer Seelenthätigkeit und Empfindung zu sein; nicht wiefern die zierlich gebaute und geschmückte Gestalt der reinlichen Pflanze minder würdig sein sollte, eine Seele zu hegen, als die unförmliche Gestalt eines schmutzigen Wurmes? Sieht den ein Regenwurm uns seelenvoller an, als ein Vergißmeinnicht?“
Fechner schreibt weiter: „Warum sollten wir glauben, daß eine Pflanze sich ihres Hungers und Durstes weniger bewußt ist als ein Tier? Dieses sucht Nahrung mit seinem ganzen Körper, die Pflanze nur mit einem Teil, nicht von Nase, Augen oder Ohren geführt , sondern mit anderen Sinnen“?
Fechner verkündete auch, dass einer der Hauptzwecke des menschlichen Körpers letztendlich vielleicht nur der sei, der Entfaltung des pflanzlichen Lebens zu dienen, indem der Kohlendioxid ausstößt und sich nach dem Tode als Nahrung anbietet.
Diese Ansichten sind zweifelsohne eine Umwertung der Werte: warum nahm man so ohne weiteres an, dass die Pflanze für den Menschen geschaffen worden war und nicht umgekehrt?
Als das aus sich heraus und für sich Bestehende ist Natur auch ohne den Menschen vorstellbar, der allerdings nicht ohne sie zu existieren vermag und ihr als Naturwesen zugehört, sich aber gegen die Natur stellt. Der Mensch als Teil der Natur hat sich von dieser ihn umgebenden Natur abgewendet und sein Dasein der Technik angegliedert.
Die ontologische Differenz zwischen beiden Sphären wird deutlich wenn man sich Gedanken über die „Naturvergessenheit“ der Menschen macht. Naturvergessenheit bedeutet letztendlich das Menschen glauben auf die Naturbasis ihrer eigenen Existenz verzichten zu können und eine Art von technisch-robotischen Dasein leben zu können. Indem er die Technik über die Natur stellt entfernt sich der Mensch nicht nur von seiner Naturbasis, er entfernt sich vom kosmischen Sein.
Wenn man die Frage stellt was ist mehr Wert, ein Gänseblümchen oder ein Auto, wird man zweifelsohne für verrückt erklärt, dennoch ist die Frage angebracht. Eine Pflanze ist etwas das man oberflächlich behandelt, man tritt auf sie drauf oder beseitigt sie mit Unkrautvernichter. Ein Auto wird gepflegt und man liebt es förmlich. Das Auto trägt zur Belastung unserer Umwelt bei, die Pflanze sorgt für das nötige ökologische Gleichgewicht auf unserem Planeten. Was hat also Mehr-wert?
Die Pflanzen kommen entwicklungsgeschichtlich aus dem Meer und haben in Millionen von Jahren den ganzen Planeten erobert. Sie haben sogar die Zusammensetzung der Erdatmosphäre so verändert, dass wir Menschen hier leben können. Und das alles soll weniger Wert sein als ein paar Tonnen Blech?
Abstammungsgeschichtlich stammen wir sowohl aus dem Pflanzen- als auch aus dem Tierreich, was bedeutet wir sind Pflanzen, wir sind Tiere, beide Elemente sind im Menschen tätig. Dies belegt unser Mitsein für die Natur die wir schon lange vergessen haben. Doch wir können sie nicht hinter uns lassen, die Natur aber uns.
Hukwa