In der Kulturgeschichte der
Menschen nehmen Pilze einen eigenen Platz ein, in allen Kulturkreisen haben sie
eine eigene Stellung. Nie waren sie den Menschen nur Dinge neben anderen
Dingen, ihre seltsamen Erscheinungen nur Formen neben anderen Formen. Wohl
schon früh ahnten die Menschen, dass in Pilzen seltsame Kräfte wohnen. Sie
galten als Träger geheimer Kräfte, waren dem Menschen Gleichnis ewigen
Wachstums, steter Erneuerung, und oft nicht ganz geheuer. Wesen der Finsternis
oder auch Kinder der Nacht wurden sie gerne genannt.
Weil Pilze so ganz anders
sind, als andere Lebewesen um uns herum, haben wir sie lange Zeit ins Reich der
Hexen, Teufel und Geister verbannt. Ihre volkskundlichen Namen geben uns zum
Teil noch eine Ahnung davon: Teufelspilz, Hexenpilz, Satanspilz, Eselsohr,
Fliegenpilz usw. Wenn es im Frühherbst nicht zu kalt ist und es dazu noch
einige Tage geregnet hat, "schießen" die Pilze aus dem Boden. Ihr
erstaunlich schneller Wuchs bewirkte, dass die Menschen sie von Alters her als
rätselhafte Verbindung zwischen der gewohnten Welt und der Welt der Geheimnisse
ansahen. Eine Welt, die von wunderbaren und seltsamen Wesen bewohnt war. Pilze
umhüllt die Aura des Mysteriösen. Sie sehen so ganz anders aus als die anderen
Organismen, die wir in der Natur vorfinden. Sie haben meist eigenartige Formen
und auffallende Farben. Dadurch brachte man sie eben eher mit der Welt der
Gnomen und Zwergen in Verbindung als mit der uns umgebenden und angenommenen
Wirklichkeit. So ist es auch kein Wunder, dass die Pilze seit ältesten Zeiten
in Verdacht stehen, Werkzeuge von Hexen und Zauberern zu sein. Meint der
Wissenschaftler Pilze, so spricht er stets von Myzelien, denn das, was der
Mensch normalerweise zu Gesicht bekommt und als "Pilz" bezeichnet,
ist nicht der eigentliche Pilz, sondern nur deren Fruchtkörper. Das Wort
"mykes" stammt aus dem Griechischen, wo es sowohl Pilz als auch
pilzförmig bedeutete. Auch die Stadt Mykene leitet ihren Namen von diesem Wort
ab. Man nimmt zwei verschiedene Erklärungen dafür an: Die eine Geschichte
erzählt, das Perseus die Stadt an dem Platz gegründet habe, an dem er den Knauf
seines Sichelschwertes verloren habe. Die andere sagt, er habe die Stadt an
einem Ort gegründet, wo er einen Pilz gefunden habe, der seinen Durst gestillt
habe(!). Von Mykes kommt auch das Wort Mykologie, also der wissenschaftliche
Name für Pilzkunde.
In der antiken Welt hielt man Pilze manchmal auch für ein
Gärungsprodukt der Erde nach Regenfällen. Nikandros von Kolophon nannte sie im
dritten Jahrhundert vor Christus in seinen naturwissenschaftlichen
Lehrgedichten "das teuflische Enzym der Erde". Im sechsten
nachchristlichen Jahrhundert taucht die Bezeichnung "mussiriones" in
"De Observatione Liborum" (Beobachtungen bei Lebensmitteln) auf, die
Anthimas, der Leibarzt des Ostgotenkönigs Theoderich d. G. verfasst hat.
Die lateinische Bezeichnung für Moose ist muscus. Und Moos ist weich und
schwammig wie Pilze. Das Altfranzösische Wort für Pilz lautete
"mocheron", das auch als "mousseron" oder
"moisseron" Verwendung fand und weich bedeutete. Die Angelsachsen
benutzten das Wort "muscheron", das wohl aus dem altenglischen
"mues" (Feld) und "rhum" (etwas das sich aufbläht)
abgeleitet ist und sich bis ins 15. Jahrhundert hielt. Im englischen heißt der
Pilz heute "mushroom". Es ist seltsam, dass Pilze weder in der Bibel
noch in den Apokryphen erwähnt sind, eine Ausnahme bildet der Taumel Lolch.
Unseren Vorfahren galten Pilze und Schwämme zweifelsohne als etwas
geheimnisvolles. Sie konnten sie weder dem Reich der Pflanzen noch dem der
Tiere zuordnen. Schließlich hatten Pilze die Gewohnheit, plötzlich an
irgendeiner Stelle aufzutauchen um dann wieder spurlos zu verschwinden. Man
ging davon aus, es handele sich um die Zusammenarbeit jenseitiger Kräfte mit
Mutter Erde.
Besonders Hexenringe waren
für die Menschen sehr faszinierend. Man dachte, diese Spuren düsterer
Aktivitäten habe etwas mit Hexen und Elfen zu tun. Manche glaubten, dass die
Pilze in dem seltsamen Kreis die Spuren eines nächtlichen Tanzes beim
Hexensabbat waren. Andere wieder dachten, der Ring bezeichne den Platz, wo der
Blitz in die Erde gefahren sei. Dabei habe er elektrische Energien entwickelt,
die sich sternförmig ausbreiteten. Oder: Er würde von Schlangen gebildet, die
im Kreis kröchen oder von Hexen, die grasende Füllen bestiegen und mit ihnen
immer im Kreis herumritten. Er wurde dem Aberglauben nach auch durch
unterirdische Dämpfe gebildet, die Geheimnisvollerweise als ringförmiger Rauch auf
die Erde kamen. Oder der Teufel stellte zu dieser Nacht an diesem Platz Butter
in einem Fass her. Zu einer Zeit in der man noch an die Existenz von Elfen,
Geistern und Hexen glaubte, entstanden die Bezeichnungen "Hexenring"
und "Elfenhof". Im fahlen Licht des Mondes tanzten Feen und Elfen auf
einer kreisrunden Tanzfläche und ruhten sich auf kleinen Pilzen aus. In seinem
Sturm deutet Shakespeare dies an:
"... halbe Zwerge die ihr
Bei Mondschein
grüne saure Ringlein macht,
Wovon das Schaf
nicht frisst; die ihr zur Kurzweil
die nächtgen
Pilze macht; die ihr am Klang
der Abendglock
euch freut;..."
In Deutschland glaubte man
dass diese Ringe vor allem in der Walpurgisnacht wuchsen, wenn sich die Hexen
zum Tanz versammelten. In Holland hielt man sie für ein Werk des Teufels. Und
eine Kuh, die an einem derartigen Ort graste, gab bestimmt keine gute Milch. In
Frankreich hält man Hexenringe für die Heimat großer Kröten mit
hervorquellenden Augen. Interessante Verbindungen zwischen
Kröten und Pilzen tauchen immer
wieder in der Mythologie auf.
Der Oxforder Literaturprofessor und Kenner der
antiken Mysterien, Robert Ranke Graves berichtet uns in seiner Griechischen
Mythologie: "Die hundertköpfige Schlange, die über dem Juwelengarten der
Hesperiden wacht, und die hundertkrallige Kröte, die ein kostbares Juwel auf
dem Kopf trägt (von dem Shakespeares Duke Senior spricht), gehörten beide zu
den alten Krötenpilz-mysterien".
Es kann entweder Glück oder Unglück bringen, wenn
man einen Hexenring betritt. Der Tau des ersten Maitages, der einen schönen
Teint machen soll, wurde innerhalb von Hexenringen nicht benutzt, da die jungen
Mädchen glaubten, Feen und Elfen seien eifersüchtig auf ihre Schönheit und
würden versuchen, sie durch diesen Tau zu verderben. Es war nicht einmal
erlaubt, einen Fuß in den Ring zu setzen, da man sich selbst dem Zauber der
bösen Geister ausliefern würde. Lang schon hat die Wissenschaft das Rätsel um
die Hexenringe gelöst und wir wissen heute dass ein solcher Kreis aus einer
Gruppe Pilze von einem Schwammgewebe besteht, die zusammen einen Kreis bilden.
Dies wird verursacht dadurch, dass der Schwamm im Laufe der Jahre alle
Nährstoffe im Boden aufgebraucht hat. Um weiterhin wachsen zu können, muss das
Pilzgeflecht sich in Ringen zur Aussenkante hin ausbreiten. Die Pilze, die dann
entstehen, kommen am Rande des Gebietes vor. Wenn sich unterirdisch keine
Ausläufer befinden, kann so ein Ring vollkommen symmetrisch geformt sein.
Hexenringe verschiedener Pilzarten können gut neben einander bestehen. Sie
überwuchern einander nicht, wenn zwei verschiedene Schwämme im Erdreich
zusammentreffen, wachsen beide nicht mehr weiter. In Schlesien glaubte man,
dass der Teufel, als er einmal sehr übel gelaunt war, eine alte Frau gepackt,
sie in Stücke gerissen und diese überall in der Gegend verstreut habe. Wo immer
eines dieser Stücke den Boden berührte, soll eine Morchel gewachsen sein, die
der alten Frau mit ihrer verrunzelten Haut ähnlich sah. Und in einigen Teilen
Deutschlands glaubten die Jäger, dass die phallusähnlichen Pilze an den
Brunftplätzen der Hirsche wüchsen. Ihre eigenartige "Eier", ihre
Gestalt und ihr widerlicher Geruch machten es nur natürlich, dass man sie mit
Hexen und bösen Geistern in Verbindung brachte. Die Stinkmorchel wurde aber
auch regelmäßig als Zutat zu Liebestränken oder als Aphrodisiakum benutzt.
Hierzu erklärte sie auch Wolfram von Eschenbach in seinem "Parzival".
Im Mittelalter verwendete man Stinkmorcheln auch zur Zubereitung eines Öls, das
Gichtschmerzen und Rheumatismus heilen sollte. Die Stinkmorchel produziert
unsichtbare Strahlen, die einen Pappkarton durch-dringen und eine Photoplatte
darin beleuchten können. Anscheinend gibt es tatsächlich so etwas wie
Leuchtpilze. "Ich schreibe Dir im Schein von fünf Pilzen", schreibt
während des zweiten Weltkrieges ein Soldat aus den Dschungeln Neu-Guineas. In
den Tropen existieren einige Arten von "Leuchtpilzen". Doch auch auf
dem europäischen Festland und in Amerika durchleuchten einige Pilze die
Waldeinsamkeit. Trichterlinge, Geweihförmige Holzkeule und Hallimasch lassen
das Holz, an dem sie wachsen, leuchten, vermutlich auf die gleiche Art, auf die
auch Glühwürmchen und Feuerfliegen ihr Licht verströmen. Um Zusammen-stöße im
Dunkel der Nacht zu vermeiden, steckten sich während des ersten Weltkrieges die
Soldaten im Schützengraben leuchtende Holzstücke an ihre Helme. In Arnheim
fanden während des zweiten Weltkrieges Soldaten, die sich gerade eingruben,
leuchtendes Holz vor.
In Holzlagern leuchteten manche Stöße so stark, dass
man sie mit einer Zeltplane abdecken musste. Und die alten Köhler steckten
"Leuchtholz" in die Erde, um so leichter den Weg während der Nacht zu
ihren Meilern zu finden.