Freitag, 26. Juni 2009

Eine Nacht am Weißdornbusch

Schlaf unter einem Weißdornbusch, seine Geister werden deine Krankheiten heilen, sagte eine alte Kräuterhexe zu meiner Großmutter. Dieser Spruch aus frühen Kindheitstagen fällt mir immer wieder ein, wenn ich einen schönen Weißdornbusch, einsam und erhaben, auf einer Waldwiese stehen sehe. So mancher Baum und Strauch in unseren heimischen Auen und Wäldern besitzt besondere Kräfte. Dem Weisdorn, diesem alten Freund unserer heidnischen Vorfahren, haftet etwas mythisch, magisches an, dies spürt der naturbewusste Mensch, wenn er unter diesem Strauch eine Ruhepause hält. Wer mit den Augen der Altvorderen schaut und in dessen Brust noch ein heidnisches Herz pocht, der findet in der Natur noch so manchen Platz, denn die Naturgeister noch nicht verlassen haben, obwohl auch ihr Rückzug bereits im vollen Gange ist. Das Heer der Geister und Kobolde, der Elementargeister und Gnomen, im Lauf der Jahre, haben sie sich immer mehr zurückgezogen, bis von ihnen nur noch der Mythos geblieben ist. Die alten Bäume die einst die von Elfen durchspuckten Waldlichtungen und romantischen Weiher bestanden haben, wurden gefällt, weg mit allem romantischen heißt die Devise des Zeitgeistes, der Kitsch triumphiert über das einst erhabene. Die verfallenen Burgruinen mit ihren efeuumrankten Türmen hat man für den Billig – Tourismus zurechtgestutzt und sie der magischen Aura bestohlen. Über das einstmals so wundervolle Flattern der Luftgeister zu berichten, über das singen der Nymphen in den grünen Waldteichen zu berichten, über die Zusammenkünfte von Trollen und Gnomen zu erzählen bleibt uns Dichtern überlassen. Obwohl es niemand mehr hören will, werden wir weiter aus dieser einst so sagenhaften Welt berichten, die an Schönheit und Romantik die heutige weit übertraf.
In einer warmen Sommernacht, der Vollmond wanderte unruhig am Himmel und beleuchtete im mystisch, romantischen Glanz die wundersamen Waldwege, machte ich mich auf den Weg, meinen Freund den alten Weißdornbusch aufzusuchen. Unterwegs kehrte ich noch bei einer Dame ein, eine richtige Prinzessin ihr Vorname war Atropa und ließ mich von ihr ein wenig verwöhnen, sie tischte mir ihre wunderbaren Früchte auf, die mich die Welt mit anderen Augen sehen ließen. Als ich von ihr ging, kam ich mir vor als würde ich mich aus den Gärten der Hesperiden verabschieden. Bei meinem Weißdorn angekommen, kroch ich unter seine zarten Äste, die nur dem oberflächlichen Menschen Dornenhaft erscheinen, denn der Baum wehrt sich gegen jene die ihn unbefugt aufsuchen. Tief in mich versunken genoss ich die herrliche laue Sommernacht. Im Gras und Gebüsch wimmelte es von geheimnisvollen nächtlichem Leben, der Mond bescheinte die Waldwiese so wunderschön, das ich einige Zeit ein Rudel Rehe das sich nicht weit von mir aufhielt beobachten konnte. Ich befand mich in einer sehr romantischen Stimmung und es hätte mich keinesfalls verwundert, wenn plötzlich Diana von Nemi vor mir gestanden hätte. Eine Stelle des Euripides –Fragmentes zog mir durch den Kopf: "Mein Leben ist heilig, seit ich die Myste des idäischen Zeus ward und geweiht in den Gewitterweihen des nächtlich schweifenden Zagreus und seinen Mahlen rohen Fleisches, der Mutter des Ida Gebirges hielt ich die Fackeln empor und wurde geweiht, Bacchant der Koureten genannt."
Der Wald ist eine uralte Stätte der Einweihung, in den Wäldern offenbart sich uns das Göttliche, Ahnengeister und Naturkräfte werden in den Wäldern zu Spielgefährten des Eingeweihten. Hier findet die Begegnung mit dem Unbewussten, dem Über – Ich statt, dem Ahn, dem Totemtier wie es der Schamane nennt. Wie aus einer Trance erwachend kam ich mir vor als plötzlich eine Gestalt vor mir auftauchte. Ist sie aus meinem Unterbewusstsein gestiegen oder kam sie aus dem nahen Fichtenhain? Ich wusste es damals nicht. Die Gestalt war ganz in Fellen verhüllt. Langes weißes Haar, bekränzt mit Laub und Fichtennadeln, fielen über die etwas gebeugten Schultern herab. Als ich ihn fragte wer er sei, gab er mir zur Antwort er wäre der Hüter des Waldes und schaue jede Nacht hier vorbei, aber nicht jeder könnte ihn sehen. Er wohne nicht weit von hier in der alten knorrigen Eiche, die tief in ihrem Wurzelgrund eine Höhle berge und lebe von Wurzeln und Kräutern wie so viele Waldtiere deren Schutzherr er sei. Der alte erinnerte mich an eine alte keltische Prophetengestalt, die sich schon lange aus der Welt zurückgezogen hatte. Jenen Archetyp des weisen Mannes und ewigen Kindes, eine Personifikation unseres unbewussten. Es wurde eine wundersame Erzähl Nacht und ich lernte vieles. In der Morgendämmerung lief ich durch den taufeuchten Wald nach Hause. Geheimnisvoll blinkten die silbernen Fäden der Spinnweben, die Amsel sang ihr Morgenlied und hoch über mir zog majestätisch der Bussard seine Runden. Die Kinder der Erde grüßten den neuen Morgen.
hukwa