Mittwoch, 15. Februar 2012

Über die Naturseele


Ein uraltes Fabelbild, ein Tierkörper mit Menschengesicht, das vor ägyptischen Tempeln stand, starrte den Beschauer an und sollte ihm die Frage stellen: Was ist der Mensch? Wir wissen das wir von Natur aus einen Tierverwandten Körper haben, das aber der Geist, der uns urbildhaft innewohnt, darüber hinaus zu streben trachtet, in ein Reich der Befreiung aus allen Gebundenheiten des sterblichen Daseins. Wie sonst hätte Religion und Philosophie denn entstehen können, als im Glauben an einen größeren, universelleren Hintergrund unseres Daseins, als jener kleinen Realität die uns angeblich umgibt? Und doch fühlen wir uns immer wieder seit die Welt für uns existent ist, an das Tierhafte gebunden. In den ältesten Mythen, Sagen, Märchen und Legenden, in den Weltmythologien, treten uns Tierhafte Gestalten entgegen, mit denen der Mensch spricht, die ihn verfolgen und die er über sein Traumleben oftmals zu bändigen versucht. Sind es die Frühphantasien eines unreifen Menschenzustandes, die noch als Resten in unserem Unbewussten, versteckt lauern, um uns in unseren Träumen und Tagesängsten zu Überrennen? Wir Wissen es nicht, doch wir Ahnen vieles. Noch die Völker des Altertums die bereits auf einer höheren Kulturstufe standen, pflegten noch ausgesprochen der Mythologie verwandte Tierkulte, in ihren religiösen Riten. Die diese Tierkulte als höchste und ernste Daseinsangelegenheit pflegten, bei manchen waren diese Kulte sogar Mittelpunkt ihres staatlichen und religiösen Lebens. Blicken wir zurück zu den herrlichen Stätten und Tempelanlagen der Babylonier, der Assyrer, Ägypter und Inder, der südamerikanischen Kulturen, wo die Lebenskräfte die kosmischen und irdischen Götter geradezu als Tiergestalten oder Menschengestalten mit Tiergesichtern dargestellt und kultisch verehrt wurden. Von allen Wesen der Natur, steht dem Menschen entwicklungsgeschichtlich, das höhere Tier am nächsten, sollte da nicht eine Verwandtschaft auch über die Seele existieren? Ist im Menschen so etwas zu Hause das er Naturseele nennen könnte? Eine Art mythologische Beschichtung unserer Seele? Jenen Teil von ihr den wir als Naturseele bezeichnen können? Eine mit der Tier und Pflanzenseele verbundene Wesenheit? Zweifelsohne gibt es den Naturmystiker, wie es den christlichen oder indischen Mystiker gibt.
Auch heute, vielleicht gerade heute im Massenzeitalter des Konsums und dessen Schmutzgewässern, gibt es noch den Naturmystischen Menschen. Der Mensch der seiner und der ihn umgebenden Natur eben noch Nähe und lobsang entgegen bringt. Doch es gibt ihn noch und in ihm ist die Naturseele noch nicht verdorrt und ausgetrocknet. Über diese, seine Naturseele, sollte es ihm möglich seine mit der Natur in einen metaphysischen Kontakt zu treten. Schopenhauer hat hierfür den Begriff des natürlich – somnambulen geprägt. Dieses ist mehr traumhaft-unbewusst mit den gleichfalls unbewussten Kräften unserer Seele verbunden.
Durch diese Naturseele wird es dem naturmystischen Menschen erst möglich die Kräfte der inneren und Äußeren Natur zu erahnen, die dem realistischen, robotischen Konsummenschen auf ewig verschlossen sind, den dieser lebt außerhalb der Ganzheit. Für den Naturmystiker ist es ein seelisches erleben, ein inneres erbeben von Natur, das über die Naturseele in ihn eindringt. Der Mensch der diese Naturseele in sich spürt lebt in einem durch und durch beseelten Kosmos, dessen Quelle ein kosmisches Kraftzentrum ist, aus dem sich die Naturseele nährt. Am stärksten tritt uns die Naturseele in dem traditionell lebenden nordamerikanischen Indianer entgegen. Dieser begreift das Universum als eine lebendige, einigende und harmonische Gemeinschaft. In ihr haben alle Lebewesen, Pflanzen, Tiere, Menschen, vom kleinsten und unscheinbarsten, bis zum größten und bedeutensten, ihren festen Ort, auch die Geistwesen. Auch wir sind nur eine Form von Leben und Formen ändern sich immer. Der Mensch als eine von vielen Formen des Lebens, in dieser universellen Gemeinschaft, steht in vitaler Wechselwirkung mit allen anderen. Selbst für jene die solche Sicht als Humbug ansehen, wäre sie eine Alternative im Hintergrund auf die ökologische Katastrophe die, die Menschheit seit längerer Zeit nun schon eingeleitet hat.
Oft denke ich wenn ich durch die Natur streiche, im Naturbewussten Menschen existiert noch eine Sonderseele, eben eine Naturseele, durch die er in direkten Kontakt, mit den Wesen und Elementen der ihn umgebenden Natur treten kann.
Der große amerikanische Philosoph Ralph Waldo Emerson schrieb in seinem Essay Natur:
"Frühere Generationen schauten Gott und Natur von Angesicht zu Angesicht; ... warum sollten nicht auch wir uns einer ursprünglichen Beziehung zum Universum erfreuen? Warum sollten wir nicht eine Dichtung und Philosophie der Einsicht statt der bloßen Tradition haben und eine Religion zu uns selbst sprechender Offenbarungen anstelle einer Geschichte der Religion unserer Vorväter? Wenn uns nur ein einziges mal die Natur umfangen hat, deren Lebensfluten um und in uns pulsieren und uns durch die Kräfte, die sie spenden, zum naturgemäßen Handeln einladen, warum dann noch im Staub der Vergangenheit wühlen, warum dann noch die lebende Generation in den verblichenen Masken und Kostümen der Vergangenheit auftreten lassen"?
Für Emerson ist Natur das Absolute. Und um Natur mehr als wahrnehmen zu können, um in sie eindringen zu können, bedarf es eines "geistigen Organs", eben einer Naturseele. Die Natur ist für Emerson Mittlerfunktion für den Aufstieg zum Absoluten. Wenn der Geist der Natur in uns dringt, muss in uns auch ein Interaktionspunkt vorhanden sein, dies ist die Naturseele. Jener Bereich wo Natur und Selbst aufeinander trifft.
Zweifelsohne aus dem Blickfeld empirischer, kritischer Philosophie, betrete ich mit meinen Behauptungen schwärmerischen und unkritischen Spekulationsboden. Aus meiner eigenen Sicht und dies ist die Sichtweise meiner persönlichen Erfahrung, spreche ich von mir widerfahrenem, von mir erfahrenem und dies ist mein unmittelbares Wissen über den Geist der Natur, über ein Ich, das viel mehr enthält als wir nur kleinkariert ahnen. Denn Naturerkenntnis ist Daseinserkenntnis. Natur erkennen ist immer Selbst erkennen. Erkennen und Erkenntnis ist nicht nur Wissen um den rationalen und mechanischen Ablauf der Naturerscheinungen, sondern ist im letzten, eigentlichsten Sinn verstanden, innerste Verbindlichkeit, des ganzen Menschen dem Dasein und der Weltnatur gegenüber. Ist vor allem der Respekt vor der geringsten Kreatur und somit Respekt vor dem Leben selbst.
Wir werden uns also gewiss nicht an die modernen Naturwissenschaften wenden können, wenn wir irgendetwas verbindliches und zuverlässiges über den Sinn der Naturerkenntnis, geschweige einer Naturseele erfahren wollen. Wir müssen zu ganz anderen Quellen hinab und hinaufsteigen und das klare Wasser der Erkenntnis aus dem einen klaren Brunnen trinken. Dem universalen Brunnen der Natur. So ist der Sinn des Naturerkennens geradezu die einzige Frage, nach Sinn und Wert unseres eigenen Daseins. Denn der Mensch ist die einzigste Naturform, in deren Inneres er unmittelbar zu blicken vermag, um den Sinn, die Bedeutung eines "Außen" überhaupt erfassen zu können.
So muss damit wir zu wahrer Naturerkenntnis vordringen können, unser eigenes Innenwesen, uns unmittelbar, klar und wahrhaftig werden. Natur erkennen bedeutet, das wir die Diesseitige als auch die Jenseitige Daseinsform erkennen. Natürlich bedeutet hier "jenseitig" nicht unwirklich, sondern es ist nur, dem im gewöhnlichem Zeitraum verharrenden Wachverstand und seinen Vorstellungen unzulänglich.
Wäre das jenseitige nur Illusion und ein leeres Bild, das sich der Mensch, sich selber spiegelnd setzt, so wäre es ihm auch in seinem wachen Denken ohne weiteres verständlich. Da es aber auf einem irrationalen Erleben gründet, so hat jene Daseinswelt, auch eine nichtillusionäre echte Wirklichkeit, jener entsprechend, die auf dem äußeren Erleben beruht.
hukwa