Samstag, 18. Februar 2012

Die andere Seite der Natur

„Es war, als ob aus dem Innern des Baumes fast unmerkliche Schwingungen in ihn übergingen…so schrieb Rainer Maria Rilke…er meinte nie von leiseren Bewegungen erfüllt worden zu sein, sein Körper wurde gewissermaßen wie eine Seele behandelt und in den Stand gesetzt, einen Grad von Einfluss aufzunehmen, der bei der sonstigen Deutlichkeit leiblicher Verhältnisse eigentlich gar nicht hätte empfunden werden können. Dazu kam, dass er in den ersten Augenblicken den Sinn nicht recht feststellen konnte, durch den er eine derartig feine und ausgebreitete Mitteilung empfing; auch war der Zustand, den sie in ihm herausbildete, so vollkommen und anhaltend, anders als alles andere, aber so wenig durch Steigerung über bisher Erfahrenes hinaus vorstellbar, dass er bei aller Köstlichkeit nicht daran denken konnte, ihn einen Genuss zu nennen. Gleichwohl, bestrebt, sich gerade im Leisesten immer Rechenschaft zu geben, fragte er sich dringend, was ihm da geschehe, und fand fast gleich einen Ausdruck, der ihn befriedigte, vor sich hinsagend: er sei auf die andere Seite der Natur geraten.“

Was uns Rilke in seinem Essay „Erlebnis“ hier erzählt, ist genau dies was wir unter kosmischen Bewusstsein verstehen. Ein Moment, eine Minute, eine Stunde tritt an uns heran die mit einem Mal unser ganzes bisheriges Weltbild verändert. Die uns hinter die „Welt hinter der Welt“ entführt, eben zur „anderen Seite der Natur“. Wer solche Momente erleben kann und darf, dem ist es möglich Dinge zu sehen die den profanen Augen der Anderen auf immer verborgen sind. Man kann hier von einer hellsichtigen Daseinsform sprechen, von Menschen die eben mehr sehen als andere. Erwachte nicht auch der Buddha unter einem Feigenbaum aus einem allzumenschlichen Alptraum um endlich die wirkliche Wirklichkeit und Realität zu erkennen? Und die andern, die solche Feinheiten nicht wahrnehmen können? Nun, sie wandern weiter im Dunkeln oder sie machen sich auf und versuchen es selbst mit dem „Schauen“ in die „andere Wirklichkeit“. In diesem Sinne sind Bäume Vermittler, sie scheinen tatsächlich eine Art von „Kanal“ zu sein der, bewusstes und Unbewusstes miteinander verbindet, das Profane mit dem Heiligen und das Alltägliche mit einer nichtalltäglichen Wirklichkeit.

In seinem Buch „Die Mythologie der Bäume“, schreibt Jacques Brosse, …“aus dem bisher gesagtem geht hervor, dass die Bäume gemäß den archaischen oder traditionellen Vorstellungen, die dem entsprechen, was man in Ahnlehnung an Claude Levy-Strauss „das wilde Denken“ nennen kann, bewohnt sind, dass sie eine „Seele“ haben. Ein solcher Glaube, der nur in verblichenen Spuren in der Folklore überlebt hat und im Verschwinden begriffen ist, scheint für uns in die Kategorie des überholten Aberglaubens zu gehören. Aber könnte eine so radikale Skepsis nicht ihrerseits binnen kurzem überholt sein? Ab 1900 führte ein bedeutender indischer Forscher, der wichtige Werke über die Physiologie der Pflanzen verfasst hat, dreißig Jahre lang Experimente durch, deren Schlussfolgerungen G.B.Shaw und Henri Bergson begeisterten. Seine Forschungen haben in der Tat gezeigt, dass die Pflanzen Empfindungsfähigkeit und sogar ein gewisses Erinnerungsvermögen besitzen- also eine sehr elementare Form des Seelenlebens-, so dass dieser Physiologe postulierte, bei den Pflanzen gebe es so etwas wie einen nervösen Mechanismus. Inzwischen wurden die Experimente Jagandis Chandra Boses durch amerikanische Wissenschaftler bestätigt und ergänzt.“

hukwa