Sonntag, 6. Februar 2011

Als Goethes Geist auf Trippstadt schien

Geliebtes gibt es, das im Sarge ruhen bleibt, vielleicht am

Trauernsten beweint um sein Totsein; und andres gibt es, das

Jeglichem, was uns sich noch ereignen mag, lebendig

Antwortet, in Zwiesprache, als würde es selber daran immer

Erneute Wirklichkeit, weil sie das anrührt, was uns mit Tod

Und Leben ewig zusammenschließt.

Lou Andreas – Salome



Wer einen Spaziergang über den Trippstadter Friedhof unternimmt findet in der vierten Grabreihe links ein Grabmal aus Sandstein mit einem aufgesetzten eisernen Kreuz. Hier liegt Carl Friedrich Brion begraben ehemaliger Hüttenwerksleiter der Gienantschen Werke in Trippstadt und Neffe von Frederike Elisabeth Brion, einer Jugendliebe von Johann Wolfgang von Goethe, die in Seesenheim, bei Strassburg gelebt hatte.

Als Goethe 1770 Frederike Brion kennen lernte, entwickelte sich aus dieser Beziehung eine der bekanntesten Liebesepisoden der deutschen Literaturgeschichte.

Goethe studierte zu dieser zeit in Straßburg. Im Herbst 1770 unternahm er zusammen mit seinem Elsässer Freund Friedrich Leopold Weyland ausgedehnte Ausritte in die Umgebung von Straßburg. Bei einem dieser Ausflüge lernte er „Rikchen“, wie er sie dann liebevoll nennen sollte, kennen. In „Dichtung und Wahrheit“ berichtet uns Goethe vierzig Jahre später über diese erste Begegnung mit Frederike Brion: „Schlank und leicht,…schritt sie, und beinahe schien für die gewaltigen blonden Zöpfe des niedlichen Köpfchens der Hals zu zart. Aus heiteren blauen Augen blickte sie sehr deutlich umher, und das artige Stumpfnäschen forschte so frei in die Luft, als wenn es in der Welt keine Sorgen geben könnte…“

An anderer Stelle schreibt Goethe in „Dichtung und Wahrheit“: „Es gibt Frauenpersonen die uns im Zimmer besonders wohlgefallen, andere, die sich besser im Freien ausnehmen; Frederike gehörte zu den letzteren.“

Goethes Liebe zu Frederike war eine sehr arkadische Liebe. Es folgten viele „folles chevaucheès“ (tolle Ritte) Goethes nach Sessenheim denen ausgedehnte Aufenthalte im Hause der Brions folgten. Unbeobachtet durchstreiften er und Frederike die Umgebung von Sessenheim, unternahmen Wasserfahrten zu den damals noch näher an den Ort heranreichenden Rheininseln, sie besuchten Bekannte Friederikes, mit denen sie Pfändnerspiele veranstalteten oder bis spät in die Nacht dem Tanzvergnügen huldigten. Ein Jahr lang wurde Sessenheim nun für Goethe „der Mittelpunkt der Erde“.

Es war zweifelsohne die Ausstrahlung Frederikes die bei Goethe „unversehens die Lust zu dichten“ aufkeimen ließ, die Quelle der Poesie, die Goethe „lange nicht gefühlt hatte“, trat, mit aller Macht wieder hervor. Es waren genau diese „Sessenheimer Lieder“, die so bedeutungsschwer in den „Sturm und Drang“ einflossen. Diese Liebesgedichte, die Goethe manchmal mit „bemalten Bändern“, an „Rikchen“ schickte sollten den Ruf Goethes als Lyriker begründen und Literaturgeschichte schreiben. Im Mai 1771 dichtete er in Sessenheim am frühen Morgen:

„Erwache Frederike,

Vertreib die Nacht,

Die einer deiner Bilder,

Zum Tage macht.

Der Vögel sanft Geflüster

Ruft liebevoll,

Das mein geliebt Geschwister,

Erwachen soll.“

Viele berühmte Lieder Goethes, wie das „Mailied“ entstanden in Sessenheim. Im Nachwort von Goethes Liebesgedichten, schreibt Emil Staiger: „In aller Einfalt kündigen diese Verse jenes Wechselspiel von Geben und Empfangen an, auf dem für Goethe die glückliche Liebe und damit der Sinn des Lebens beruht, eine Liebe, die von vorneherein die ganze Welt umfasst: Wie er Frederike liebte, so liebt die Lerche Gesang und Luft und lieben die Morgenblumen den Himmelsduft. Die Liebe, die sein Herz beseligt, ist dieselbe Liebe, die als göttlicher Hauch das All durchdringt.“

Aber es sollte keine Liebe von Dauer sein. Schon im Frühjahr 1771 dachte er, der seine unruhige Seele mit dem „Wetterhähnchen drüben auf dem Kirchturm“ verglich, daran die Beziehung zu beenden. „Es waren peinliche Tage“, erinnerte er sich in „Dichtung und Wahrheit“ an den für viele Jahre letzten Besuch bei Frederike, der am 7.August 1771 stattfand: „Als ich ihr die Hand noch vom Pferde reichte, standen ihr die Tränen in den Augen, und mir war sehr übel zu mute.“

Eine Woche später nahm Goethe Abschied vom „herrlichen Elsass“ und kehrte aus Straßburg über die Pfalz nach Frankfurt zurück.

Am 28.September 1779 schrieb Goethe an Frau von Stein über seinen Besuch, denn er acht Jahre später bei der Familie Brion tat: „Die zweite Tochter von Hause hatte mich ehemals geliebt, schöner als ich’s verdiente, und mehr als andere, an die ich viel Leidenschaft und Treue verwendet habe; ich musste sie in einem Augenblick verlassen, wo es ihr fast das Leben kostete, sie ging leise darüber hinweg, mir zu sagen, was ihr von einer Krankheit jener Zeit noch überbliebe, betrug sich allerliebst mit so viel herzlicher Freundschaft, vom ersten Augenblick, da ich ihr unerwartet auf der Schwelle ins Gesichte trat und wie wir mit den Nasen aneinander stießen, dass mir ganz wohl wurde. Nachsagen muss ich ihr, dass sie auch nicht durch die leiseste Berührung irgend ein altes Gefühl in meiner Seele zu wecken unternahm. Sie führte mich an jede Laube und da musste ich sitzen, und so wars gut…Die Alten waren treuherzig, man fand, ich sei jünger geworden. Ich blieb die Nacht, und schied den andern Morgen bei Sonnenaufgang, von freundlichen Gesichtern verabschiedet, das ich nun auch wieder mit Zufriedenheit an das Eckchen der Welt hindenken und in Friede mit dieser Ausgesöhnten in mir leben kann.“

Frederike Brion hatte nie geheiratet. Als sie 1813 starb setzte man ihr eine Grabinschrift die lautete: „Ein Strahl der Dichtersonne fiel auf sie, so reich, das er Unsterblichkeit ihr lieh.“

Jahre zuvor dichtete der unglückliche Dichter Michael Reinhold Lenz, der sich unsterblich in Fredericke verliebt hatte:

Denn immer, immer doch

Schwebt ihr das Bild an Wänden nach,

Von einem Menschen, welcher kam

Und ihr als Kind das Herzen nahm.

Fast ausgelöscht ist sein Gesicht,

Doch seiner Worte kraft noch nicht.

Der in Trippstadt begrabene Neffe von Frederike Brion, war zeitlebens nicht gut zu sprechen auf den Genius der europäischen Literatur. Das alte Grab auf dem Trippstadter Friedhof ist nicht nur ein Kulturdenkmal sondern steht auch als eine kulturelle Verbindung, wenn auch sehr kleine, Trippstadts, mit dem sprachmächtigsten Dichter der Literaturgeschichte.

hukwa