Samstag, 9. Mai 2020

In Wahrheit sind wir alle nur Schatten


Foto©UteKW

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
und zuletzt des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.
Goethe

In der Regel schreibe ich immer im gleichen Raum, in meinem Arbeitszimmer. Mir scheint, dass dieser Raum sich in vielen Jahren mit meinen Gedanken angefüllt hat. Als ich gestern Abend in den Tagebüchern von Nathaniel Hawthorne gelesen habe wunderte ich mich nicht über einen Abschnitt den er im Jahre 1840 geschrieben hat: „Hier bin ich in meinem gewohnten Zimmer, wo ich immer zu sein scheine. Hier habe ich viele Geschichten abgeschlossen, viele,die ich später verbrannt habe, viele, dieses Flammenschicksal zweifellos verdienten. Es ist ein verhexter Raum, weil Tausende und Abertausende von Visionen ihn bevölkert haben, von denen einige nun der Welt sichtbar geworden sind...Heute fange ich an zu begreifen, warum ich so lange Jahre ein Gefangener dieses einsamen Zimmers gewesen bin und warum ich seine unsichtbaren Gitter nicht zerbrechen konnte. Wenn mir der Ausbruch früher geglückt wäre, so wäre ich heute hart und spröd, und mein Herz wäre bedeckt mit Erdenstaub...In Wahrheit sind wir alle Schatten“.
Ich kenne solche Gedanken und habe sie oft selbst. Mein Interesse an diesen Aufzeichnungen gilt vor allem dem letzten Satz: „In Wahrheit sind wir alle nur Schatten“.
Vielleicht sind wir alle nur der Schatten von etwas größerem, das hinter uns steht und das erkannt werden will. Etwas das sich dieses Schattens bemächtigen will und somit unser wahres Wesen- unser Menschsein gebären will.
Eine Art von Entelechie, die nach Aristoteles zugleich ein Formprinzip und ein Entwicklungsprinzip ist. Zweck jeden Wesens ist die Selbstverwirklichung seiner Form anders würden wir hart und spröde bleiben, in den Worten Goethes ausgesprochen: „geprägte Form, die lebend sich enwickelt“. Es ist das werde der du bist im großen Spiel des Stirb und werde – der Weg vom Schatten zum Menschsein.
Wir müssen ins Unendliche denken, wollen wir das Endliche erkennen oder in den Worten Goethes:
Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.
J.W. Goethe


hukwa