Freitag, 18. Oktober 2019

Tiefenökologie und Naturvergessenheit






Zusammen gehört Ganzes und Nichtganzes
Übereinstimmendes und Verschiedenes,
Einklang und Dissonanzen, und aus Allem
wird Eines und aus Allem
Eines.
Heraklit. Über die Natur


Für die Tiefenökologie ist die mythologische Metapher von großer Wichtigkeit. Unsere lebendige Erde ist ein Beweis dafür. Nach ihr ist Gaia ein lebendiges Wesen. Die moderne Wissenschaft ist heute dem vorsokratischen Philosoph Anaximander näher gerückt als Platon oder Aristoteles. Anaximander sagte: „Woraus aber die Dinge ihre Entstehung haben,dahin geht auch ihr Vergehen nach der Notwendigkeit. Denn sie zahlen einander Strafe und Buße für ihre Ungerechtigkeit nach der Ordnung der Zeit“.
Anaximander ging davon aus, dass alles was wir der Natur entnehmen auch wieder zurückgegeben werden muss. Nur so kann immer wieder neues Leben entstehen. Er setzte als Urprinzip des Seins das Unbegrenzte, das Unendliche, das Unbestimmte. Aus diesem Apeiron (Urstoff) entstehen die Gegensätze in unendlicher Bewegung. Nachdem die Welt/Natur aus einem Schöpfungsprozeß herausgetreten ist, gelangte sie schrittweise dazu sich selbst zu regeln. Diesen Schöpfungsprozess können wir mit dem Mythos des „Tanz der Gaia“ vergleichen.
Gaia die in weiße Nebelschleier durch die Dunkelheit tanzt. Als sie sichtbar wird formt sich ihr Körper zu Bergen und Tälern. Aus ihrem Schweiß entstehen die Ozeane und den Himmel (Kosmos) legt sie als Schutzhülle(Biosphäre) um sich. Heute wissen wir, dass Parallelen existieren zwischen moderner Wissenschaft, Entstehungsgeschichte der Erde und dem uralten Schöpfungsmythos von Gaias Tanz.
Der „Erfinder“ der Tiefenökologie Arne Naess schrieb einmal: „Der Unterschied zwischen der Ökologie und der Tiefenökologie ist einfach der, das die Tiefenökologie tiefere Fragen stellt“.
Die Ökologie berührt durch die Erfassung der Beziehungen des Menschen zu seinem Lebensraum fast alle Wissensgebiete, sie ist keine Einzelwissenschaft, obwohl sie eine Fülle von Einzelwissenschaften heranzieht.
Die Tiefenökologie versucht noch „tiefer“ in das Ganze einzudringen und ist somit ein Gegengewicht gegen das einseitige, analytische, sezierende Denken unserer Zeit.
Arne Naees nannte dies die „Notwendigkeit der menschlichen Selbtstverwirklichung“. Anstatt nur unser Ego zu pflegen sollen wir lernen uns mit Bäumen, Pflanzen, Tieren und der ganzen Ökosphäre zu identifizieren.
Ich selbst habe die Erfahrung bei Vorträgen über Tiefenökologie gemacht, das die Vertreter dieser Richtung gerne als „spirituelle Spinner“ hingestellt werden. Dieses Denken der Gegner der Tiefenökologie beginnt bei dem Hauptansatz der Tiefenökologie, das die Erde als ein lebendes, geistiges Wesen gesehen wird.
In der griechischen Mythologie ist Antaus der Sohn von Mutter Erde, sobald er die Verbindung zu seiner Mutter verliert wird er vollkommen kraftlos, steht er wieder mit ihr in Verbindung kehren seine Kräfte zu ihm zurück. Eine weitere Allegorie ist der Mythos von Phaeton: Er maßte sich an, den Wagen seines Vaters, des Sonnengottes zu lenken, verlor die Herrschaft über die Pferde und steckte beinahe die Biosphäre in Brand. Ist dies nicht der Zustand in dem die heutige Menschheit lebt?
Auch heute gibt es noch genügend Menschen, die den Gedanken, der Mensch könnte jemals die Macht haben, die gesamte Erdatmosphäre zu verunreinigen und zerstören, in das Reich der Fantasie verweisen.
Da die Tiefenökologie sich auf das Ganze bezieht, das ja bekanntlich mehr ist als die „Anzahl seiner Teile“, ist sie in gewissen Sinne auch immer spirituell (nicht mit Esoterik verwechseln) und somit ganzheitlich. Der tiefenökologisch orientierte Mensch kann niemals ein „Intellektueller“ sein, also ein Mensch dessen Wesen ganz auf den Intellekt beschränkt ist. Der reine Intellekt, von der Wesenheit des Menschen getrennt bedeutet dessen menschliche Verwahrlosung.
Ökologie und Tiefenökologie verfolgen die gleichen Ziele, ein Leben in Harmonie mit der Erde.
So schreibt Fritjof Capra in seinem Buch Lebensnetz meiner Meinung nach zu Recht:“Heutzutage haben wir eine tiefenökologische Ethik bitter nötig, insbesondere in der Wissenschaft, da das meiste, was die Wissenschaftler tun, nicht lebensfördernd und lebenerhaltend, sondern lebenszerstörend ist. Solange Physiker Waffensysteme konstruieren, die das Leben auf diesem Planeten auszulöschen drohen, solange Chemiker die globale Umwelt verseuchen, Biologen neue und unbekannte Arten von Mikroorganismen freisetzen, ohne die möglichen Folgen in Betracht zu ziehen, solange Psychologen und andere Wissenschaftler Tiere im Namen des wissenschaftlichen Fortschritts foltern – solange all dies so und nicht anders weitergeht, ist es von allerhöchster Priorität, „öko-ethische“ Standarts in die Wissenschaft einzuführen“.
Dies drückt aufs deutlichste aus, das die Zusammenhänge der ökologischen Wahrnehmung der Welt und unserem Verhalten ihr gegenüber kein logischer sondern ein psychologischer Zusammenhang ist.
Unser Wirtschaftssystem ist für die Gegenwart und die Zukunft vollkommen perspektivlos weil seine Grundlage Leistungssteigerung bis zum Kollaps ist, es ist perspektivlos weil die Ressourcen begrenzt sind. In einer von ökonomischen Machtansprüchen geprägten Gesellschaft in welcher Ehrgeiz, Ellenbogenmentalität und Konsumsucht das Fundament von Denken und Handeln bestimmen und von der Wirtschaft als geradezu tugendhaft betrachtet wird muss die gesamte Natur leiden.
Die Tiefenökologie ist wie die Ökologie oder der Bioregionalismus ein Weg, den es sich zu gehen lohnt weil er nach Auswegen aus einer Krise sucht.
Der französische existenzialistische Philosoph Jean Paul Sarte erwähnte in einem seiner Bücher das wir immer die Möglichkeit der freien Wahl haben?
Eine realistische Interpretation der Tiefenökologie wird immer das Gefühlsleben des Menschen gegenüber seiner Mitwelt beinhalten. Der Versuch die verlorene Einheit von Mensch und Natur wieder herzustellen.
Vielleicht ist das große Dilemma unserer Zeit einfach, dass wir unter Naturvergessenheit leiden!

hukwa