Sonntag, 14. April 2019

Die Esche als Weltenbaum

 
Esche im Trippstadter Schlosspark - Foto©UteKW


Ich weiß, das ich hing,
am windigen Baum
neun Nächte lang,
mit dem Ger verwundet,
geweiht dem Odin,
ich selbst mir selbst,
an jenem Baum,
da jedem fremd,
aus welcher Wurzel er wächst.

Sie spendeten mir
nicht Speise noch Trank;
nieder neigt ich mich,
nahm auf die Runen,
nahm sie rufend auf;
nieder dann neigt ich mich.

Zu wachsen begann ich
und wohl zu gedeihn,
weise ward ich da;
Wort mich von Wort
zu Wort führte,
Werk mich von Werk
zu Werk führte.
 
Aus der Edda





Die Esche kann bis zu 40 m hoch werden. Sie ist vor allem an den schwarzen , zwiebelspitzigen Knospen, ihren gefiederten Blättern und der silbrigen bis asch –
grauen Rinde zu erkennen. Ihr Verbreitungsgebiet erstreckt sich über ganz Europa
bis nach Vorderasien. Wenn viele unserer einheimischen Bäumen, schon ihr neues
Blattkleid tragen, trägt die Esche oft noch kein einziges Blatt. Dies ist auf ihre Frost-
empfindlichkeit zurückzuführen. Sie wartet ab bis auch tatsächlich kein Frost mehr
zu erwarten ist. Wohl deshalb schrieb die Baum – und Kräuterkundige Hildegard v.
Bingen mit Recht : „ Sie ist ein Sinnbild der besonnenen Einsicht „. Wenn sie dann im April oder Mai ihre schwarzen Knospen sprengt , hängen kleine, violette Blüten-
büschel heraus, die ihre Bestäubung dem Wind anvertrauen. Bei der Esche gibt es
männliche,weibliche und gemischt –geschlechtliche Bäume.
Das Holz der Esche ist hart, zäh und besonders elastisch.Schon in der Antike verwandte man es zur Herstellung von Handwaffen wie Armbrüste, Speere, Lanzen und Bögen. Der bekannteste Eschenholzspeer ist der des Kentauren Chiron.
Diese Sagengestalt halb Mensch, halb Pferd bewohnte den sagenumwobenen Berg
Pelion in Thessalien. Auf diesem heiligen Berg wuchsen die berühmten Eschen und
Eichen, eine davon fällte Chiron und fertigte daraus jenen Speer, mit dem Achilles
Hektor besiegte. Natürlich ist die Esche auch im Keltischen Baumalalphabet ver –
treten. „ Nion „ hießen Baum und Laut. Sie war eines der Symbole für Nacht und Wasser. Was uns nicht zu wundern braucht, denn die Esche liebt feuchte Standorte.
Die Eschen gaben den Kelten Schutz vor der zerstörerischen Kraft der Wasser –
dämonen. Die Druiden benutzten Eschenholz als Regenzauber. In der germanischen Mytologie ist die Esche der wichtigste Baum – hier steigt sie zum Weltenbaum empor. Ygdrasil-so wird die Esche in der germanischen Mytologie genannt – ist der schönste aller Bäume und heiligste der Germanen.Seine Zweige erstrecken sich über alle Welten hinaus und erreichen den Himmel. Er hat drei Wurzeln die ihn aufrecht erhalten; sie sind außergewöhnlich groß. Eine taucht in den Äsir, die Unterwelt der Asen, der Götter hinunter, die zweite zu den Frostriesen
den Vorgängern, der Menschen, die dritte greift nach Niflheim, dem Reich der Toten. Bei dieser letzteren Wurzel entspringt der Brunnen Hvergelmir, die Quelle aller rauschenden Flüsse die, die Erde bewässern und sie für den Menschen be –
wohnbar macht. Neben der zweiten Wurzel sprudelt die Quelle von Mimir. Dem der
dort die Lippen netzt, schenkt sie Wissen und Weisheit, aber ihr Besitzer, dessen Name „ Meditation „ bedeutet, hat es verboten, sich ihr zu nähern; er selbst ist voll tiefsten Wissens, dass er täglich aus diesem Wasser schöpft. Unter der ersten Wurzel, die der Überlieferung zufolge entweder die unterirdische Behausung der Götter oder ihren himmlischen Wohnort erreicht – die übrigens durch Bifrost, den
Regenbogen verbunden werden-gibt es eine dritte Quelle, die heiligste von allen:
den Brunnen über den Urd die älteste der Nornen wacht. Als Hüterinnen der Ge –
setze und alten Bräuche sind nur die Nornen in der Lage, die Geschicke der Menschen und sogar der Götter selbst zu lenken, die nicht ewig sind und dem Los, das alle trifft, nicht entrinnen können. Ursprünglich war Urd, die älteste unter ihnen, deren Name Schicksal bedeutet, wahrscheinlich allein. Möglicherweise waren die Legenden von den drei spinnenden Nornen, als sie uns erreichten, schon
von den Moiren ( dem Personifizierten Schicksal ) und den Parzen der griechischen
und der römischen Mytologie beeinflusst. Wie diese stellten auch jene die drei Mondphasen-zunehmend-voll-abnehmend dar, deren Rhythmus das Leben der Natur bestimmt und die auch den drei menschlichen Lebensaltern, Jugend, Reife, Alter entsprechen. Jeden Tag schöpfen die Nornen aus dem Brunnen Wasser und schlamm und begießen damit die Esche, damit ihre Zweige weder vertrocknen noch
verfaulen. Was immer in die Quelle fällt, wird so weiß wie das Häutchen im Innern der Eierschale, das heißt, es kehrt zu seiner früheren Reinheit zurück, zu seinem Vorgeburtlichem Ursprung.Dieses Makellose Weiß kleidet auch das paar Schwäne, die die Quelle bewohnen und von denen die Vögel dieses namens abstammen. Urds
Quelle ist also ein Jungbrunnen. Bei ihr versammeln sich die Götter, um Rat zu halten, Streitigkeiten zu schlichten und Recht zu sprechen.Dieser Schicksals –
brunnen verkörpert die Welt der Möglichkeiten, der Samen, der Keime, eine nächt-
liche Welt aus Wasser und Erde , aus der alle Lebewesen hervorgegangen sind.
wenn es Ygdrasil dank seiner Wurzeln den drei übereinandergeschichteten Reichen
dem der Götter, dem der prähistorischen Riesen und dem der Vorfahren des Menschen gestattet, an der Erdoberfläche zu erscheinen, so erstreckt sich der Stamm der Esche, durch das Zwischen Himmel und Erde gelegene mittlere Gebiet
das Midgart, wo die Menschen leben und ihr Wipfel erhebt sich bis zu Asgard, dem
Domizil der Götter. Trotz seiner Mächtigkeit ist der Kosmische Baum stets bedroht.
Die riesige Schlange Schlange Nioggrh nagt heimlich an der dritten Wurzel, wird aber selbst Tag für Tag vom Adler angegriffen, der in seinen höchsten Zweigen wohnt. Vier Hirsche kommen und gehen im Gezweige und fressen die jungen Triebe
kaum das sie erschienen sind. Ygdrasils Laub beherbergt noch weitere Tiere, die aber nützlich sind, so die Ziege Heidrun, die mit ihrer Milch Odins Krieger ernährt
oder das Eichhörnchen Ratatosk, das am Stamm hinauf und hinunterläuft und die
wechselseitigen Auseinandersätzungen zwischen Schlange und Adler vermittelt. Letzterer weiß viele Dinge und beobachtet von seinem hohen Standpunkt aus den
Horizont, um die Götter zu warnen, wenn ihre Uralten Widersacher, die Riesen, sich zum Angriff anschicken.In manchen Versionen sitzt ein goldener Hahn im Baumwipfel: er hat die selbe Aufgabe. Man könnte nicht, bilderreicher Ausdrücken
, das die Welt der Spielball in einem unablässigen Kampf zwischen den Mächten des Lebens und deren Zerstörung ist.
Nun ist der Kosmische Baum Heute aktueller denn je, denn gerade Heute, da die Katastrophale Ausmaße des Waldsterbens nicht mehr zu übersehen sind, ist es für
die Menschheit wichtig, wieder einen Bezug zu dem Wesen Baum aufzubauen. Und
die Esche ist in diesem Sinne ein wirklicher Lebensbaum. 
 
hukwa