Freitag, 15. September 2017

Aurora oder wenn der Mythos ruft

Auszug aus meinen mythologischen Meditationen

Schon immer ist mir der Morgen eine besondere Zeit gewesen. Ich finde eine große Klarheit und Ruhe sind dem Morgen inhärent. Vor allem, wenn man in den frühen Morgenstunden, durch die Natur wandert, spürt man diese Klarheit sehr deutlich. Besonders im Frühjahr habe ich einen tiefen Bezug zu den frühen Morgenstunden. Das Gezwitscher der Vögel, das flötende Lied der Amsel, versetzt mich bei meinen Wanderungen in einen meditativen Zustand. Es ist der Bannstrahl der Göttin Aurora, der mich in diesen frühen Stunden erfasst und dem ich mich dann auch für einige Zeit ganz hingebe. Eos, nannten die alten Griechen die Göttin des frühen Morgens, sie ist identisch mit Aurora der Morgenröte, Tochter der Theia und des Hyperion, ein Sohn des Uranos und der Gaia. Sie muss ja mit der Erdmuter verwandt sein, die Göttin, die schützend ihre zarte Hand über den goldenen Morgen hält. Die Tautropfen, die perlend an den Pflanzen und Bäumen hängen, sind die Tränen die sie um ihren Sohn
Memmon weint. Er, der dem König von Troja, Priamos zu Hilfe eilte und von Achilles getötet wurde doch schließlich durch das Flehen seiner Mutter Unsterblichkeit erlangte. Eos war die Gemahlin des Astraios, dem sie die Winde und den Morgenstern gebar. Eos ist eine wunderschöne, rosenfarbige Göttin, ein Abbild der goldenen Morgenröte. In aller Frühe erhebt sie sich von ihrem Lager und beginnt ihr Tagwerk. Sie zieht sich ihren safranfarbigen Mantel über und schirrt ihre Pferde Lampos (Glanz) und Phaieton (Schimmer) an den goldenen Wagen, um so den Tag zu verkünden. Sie wird dargestellt mit einer Fackel in der Hand, ihre Rosse lenkend, durch die Lüfte schwebend. Gleich einer wilden Sturmgöttin entführte sie auch Menschen, um sich ihrer Liebe zu erfreuen, so den Tithonos. Doch entführt sie nicht auch uns heute noch, wenn wir durch die wunderschöne Natur wandern um den frühen Morgen zu genießen? Zeus gewährte ihr für den Tithonos ewiges Leben, aber sie hatte vergessen für ihn auch um ewige Jugend zu bitten, so vertrocknete er und seine Stimme schwand, geschickt verwandelte Eos, ihren Geliebten in eine Zikade, so das sie wenigstens noch seine Stimme hören konnte. Hier wird Eos auch Vegetationsgöttin, symbolisiert doch das vertrocknen, die Jahreszeit des Herbstes, wo die Vegetation sich zur Ruhe begibt, aber jeden Sommer lauscht sie dem Gezirpe der Zikaden und weint Tränen um ihn und um Memmon, die wir als Tautropfen vorfinden.
Wie eine mütterliche Hülle des Lebens empfängt uns der frühe Morgen, bereitet uns auf einen neuen Tag vor, von dem wir hoffen das es ein in sich ruhender Erdentag wird. Ist die Natur eine große Lehrerin so ist die Mythologie uns Ratgeber, wie wir im Buche der Natur lesen können, wenn wir uns nur Mühe geben, so kann uns der Mythos, Therapeut und Philosoph sein, beide – Natur und Mythos, werden wenn wir ihre Weisheiten lesen können, zu einem geheimnisvollen Schöpfungsalphabet. Zu einem Wegweiser nicht nur in graue Vorzeiten
Goldener Zeitalter, sondern auch zu einem Pfad der direkt in unser Unbewusstes führt.

Ewig erklingt die Stimme des Mythos in uns, eine treibende Kraft ist er wie auch die Philosophie. Novalis bemerkte einmal: "Aus einem Menschen spricht für dieses Zeitalter Vernunft und Gottheit nicht vernehmlich, nicht frappant genug – Steine, Bäume, Tiere müssen sprechen, um den Menschen sich selbst fühlen, sich selbst besinnen zu machen."
hukwa




Foto © UteKW