Volkstümlicher Aberglaube und volkstümliche Bräuche als
integraler Bestandteil des ländlichen Lebens, am Beispiel der Linde.
Wenn man versucht sich über die Volkskunde und Ethnologie in
das Leben unserer Vorfahren hinein zu versetzen muss uns klar sein das vor
allem die Bewohner der ländlichen Räume in einem Spannungsfeld von Kräften
lebten, die für uns heutige nur schwer verständlich sind. Was wir
Volksüberlieferung nennen, ist ein System von Überzeugungen, das Erklärungen
sowohl für natürliche als auch vom Menschen herbeigeführte Ereignisse und
Phänomene bot, ein Orientierungsrahmen also, den der Landbewohner sich zu eigen
machen konnte und der ihm scheinbar ein gewisses Maß an Sicherheit einräumte.
Wir missverstehen das Wesen dieser Überzeugungen, wenn wir in ihnen nichts
anderes als Märchen oder eine falsch überlieferte romantische Erzählung sehen.
Hervorzuheben ist auch dass die
systematische wissenschaftliche Beschäftigung mit der Volksüberlieferung und
der mit ihr einhergehenden Volkskunde die im 19. Jahrhundert einsetzte und
ihren Schwerpunkt von Anfang an ausschließlich auf dass Studium des ländlichen
und nicht städtischen Materials konzentrierte.. Eine volkskundliche
Überlieferung der Städte bedarf einer extra Abhandlung. Im Mittelpunkt dieses Textes steht natürlich
die Beziehung Mensch – Baum aus der Sichtweise der volkskundlichen
Überlieferung. Es geht hier natürlich nicht um den zeitgenössischen
Landbewohner selbst, sondern um dessen Vorfahren. Dennoch ist eine gewisse Aktualität vorhanden, da ich in den letzten
zwei Jahrzehnten durch Gespräche mit älteren Menschen erfahren konnte das über
die Linde als „Kulturbaum“ immer noch Reste auch in unserer heutigen „modernen
dörflichen Landschaft“ existieren. Man könnte also von verborgenen Funktionen
volkskundlicher Überlieferungen sprechen, die heute noch in uns als eine Art
„archaisches Überbleibsel“ existieren.
Wer die Landschaften der Pfalz erwandert sei es der Westrich, das Nordpfälzer Bergland oder auch
den Pfälzerwald dem werden immer wieder einzelstehende Flurbäume auffallen die
dieses Landschaftsbild ästhetisch prägen.
Sie sind ein altes Kulturgut und haben eine starke Wirkung auf das
Landschaftsbild. Solche Bäume haben natürlich auch eine ökologische Funktion
als Grenz und Flurbäume haben sie aber ihre besondere Werte und Bedeutungen.
Von jeher haben Bäume eine besondere Beziehung zu uns
Menschen, sie galten Jahrhunderte lang als Symbole des Lebens, der Geborgenheit
und des Schutzes. Hatten ihre Funktion als Gerichtsbäume bei der alten
Thingstätte aber auch als Dorfbaum (Dorflinde) worunter sich die Bevölkerung
traf um sich auszutauschen, solche Dorfbäume hatten eine nicht zu unterschätzende
soziale Funktion in der dörflichen Gemeinschaft. Ihre Funktion war auch
religiöser und mythologischer Natur. So kennen wir den Weltenbaum, den
Lebensbaum, den Baum der Erkenntnis um nur auf einige symbolische Bedeutungen
des Baumes hinzuweisen. Auch heute sind die Bäume unserer Landschaft noch immer
Mittelpunkte. In einer bedrohten Umwelt sind sie uns Ausdruck des Beharrens und
der Hoffnung,
Schon Karl der Große forderte in seiner „Capitulare de
villis“von 812 die Anpflanzung von Linden in allen Dörfern, auf den
Marktplätzen um die Kirchen und bei den Königshöfen „zum Wohle aller“.
Vom frühesten Mittelalter bis in unsere Zeit pflanzte man
die Linde zur Erinnerung an Gedenktage oder zur Ehrung von Persönlichkeiten aus
Politik und Kultur.
Einzelbäume dienten oftmals als Wegzeichen und stehen
bevorzugt an Weggabelungen, wo sie heute noch immer das Landschaftsbild
verschönern. Sie waren einst rechts- oder Territorialgrenzen oft markierten sie
auch den schon erwähnten Gerichtsplatz.
Vor allem im Volksglauben und der Mythologie der Germanen
nimmt die Linde einen hervorragenden Platz als „Kulturbaum“ ein. Das beweisen
uns die vielen Sagen, Legenden und Flurnamen die mit diesem Baum verbunden
sind. Noch heute ist in einigen Ortschaften die Dorflinde Zierde und Stolz des
ganzen Dorfes. Unter ihr versammelten sich einst ausgewählte Männer zu
Beratungen um das Wohl und wehe des Ortes um Hilfesuchenden zu helfen und vor
allem um das Recht zu sichern. Über besonders schlimme verbrechen musste
manchmal auch der „Stab gebrochen werden“, dies bedeutete sie wurden zum Tode
verurteilt. In solchen Urteilen aus dem Mittelalter heißt es oft in alten
Urkunden: „gegeben unter der Linde, oder gegeben unter der Linde vor der Kirch
auch gegeben unter der Linde vorm Schloss“.
Wohl die beiden berühmtesten „Gerichtslinden“ sind die von
Ferdinand Freiligrath (1810-1876) besungenen
„Femelinden“ bei Dortmund (Feme= geheimes Gericht). Ihre von den
Freischöffen gefällte Urteile waren gefürchtet und wurden vom Volke sagenhaft
ausgeschmückt und verklärt.
Unter der Linde huldigten und leisteten die Untertanen ihrem
Herrn den Treueeid. So ließ sich Bischoff Siegfried III., von Speyer am 9. Juli
1478 in Klingenmünster im Klosterhof vor der Kirche „unter der Linde“ huldigen.
Am 11. August 1560 schworen die Bewohner von Udenheim und Umgebung (bei Mainz)
dem neugewählten Bischoff „unter der Linde“ vor dem Schloss die Treue. Am 16.
August 1560 leisteten die Untertanen aus den Dörfern um Lauterburg ihrem
Bischoff den Treueid und versprachen Gehorsam „unter der Linde im Schlosshof
von Lauterburg“. Neben den historischen
„Femelinden“ kennt die Sage auch „Blutlinden“. Die bekannteste steht vor
der Kirche zu Frauenstein bei Wiesbaden. Sie soll eine mächtige tausendjährige
Linde mit weitausladender Krone sein. Der Glaube an blutende Bäume war im
Mittelalter nicht selten.
Allein schon an der Linde erkennen wir welch tiefer Bezug
unsere Vorfahren einst zu Bäumen hatten. Und noch bei Goethe erkennen wir welch
tiefe Bedeutung Bäume für ihn hatten. So schrieb er in „Dichtung und Wahrheit“:
„Schon den Knaben hatte das heilige Geheimnis des Waldes angezogen, und als er
das einem älteren Freund gestand, war es ihm eine Offenbarung, zu hören, das
die Germanen in den Wälder wohnend gedacht, und ihnen Bäume geweiht hatten“.
Bäume erfüllen unser Bedürfnis nach Schönheit im
Landschaftsbild und das verschwinden der alten Flur- und Feldbäume, das wir in
den letzten Jahren immer öfters beobachten konnten ist ein ökologischer,
kultureller und ästhetischer Verlust. Solche Bäume in der offenen Flur sind das
dringliche Gedächtnis an vergangene Ereignisse und sind meistens mit der
lokalen Geschichte eines Ortes- und einer Landschaft verbunden. Somit schaffen
sie auch regionale Identität.
Die bäuerliche Kulturlandschaft wie wir sie vor allem im
Westrich und der Nordpfalz vorfinden ist ohne den „Kulturbaum“ nicht denkbar.
Unter Weidbäumen fand das Weidevieh Schutz, das Jungvieh in
den hausnahen Baumgärten. Unter Eichen fanden die Schweine neben Schatten auch
Nahrung. Auch das Ackerland war reichlich mit Bäumen ausgestattet, denn Bäume
waren für Mensch und Zugvieh als Schattenspender für die Feldarbeit
unverzichtbar. Bäume lieferten Nahrung und Holz. Gepflanzte Flur und Grenzbäume
sind geradezu ein Merkmal der dörflichen Kulturlandschaft. Wo gesiedelt wurde,
wurden Bäume gepflanzt. Bauernhöfe waren in der Regel immer von Bäumen umgeben
und aller Orts fanden sich „Hofbäume“. Diesem wurden segensreiche Wirkung und
schützende Kräfte vor Blitzschlag- und Unwetter zugeschrieben. Vom
landschaftlichen Standpunkt betrachtet haben die großen Hofbäume und die Bäume
um die Wirtschaftsgebäude einst das Gehöft oder den Weiler in die Landschaft
harmonisch eingebunden.
Es gab den Brauch der Hochzeits- und Geburtsbäume. Ein
traditioneller Brauch der nicht nur auf dem Dorf üblich gewesen ist, wo
Hofübergabe, Heirat und Baumpflanzen oft zusammengehörten. Die Heiratserlaubnis
war nach der Not des 30jährigen Krieges in etlichen Ländern mit einer
Baumpflanzung verknüpft, so unterhielt beispielweise die Reichsstadt Rothenburg
einen Baumhain als sogenannten Hochzeitswald. Bis Mitte des vorigen
Jahrhunderts war es in vielen Orten üblich bei Geburt eines Kindes im Garten
einen Obstbaum zu setzen. Im allgemeinen wählte man bei der Geburt eines Mädchens
einen Apfelbaum, bei einem Jungen einen Birnbaum.
Anlässe und Gründe, einen Baum zu pflanzen, gab es immer
genug: zur Erinnerung an ein ausgewandertes Familienmietglied, zum Dank für
eine glückliche Heimkehr aus Krieg und Gefangenschaft.
Der „Kulturbaum“ gehörte schon immer in menschliche
Ansiedlungen. Seine Behandlung in den verschiedenen Regionen unseres Landes
bezeugt dass einst ein weitaus besseres und natürlicheres Verhältnis zwischen
Mensch und Baum bestand. Im Banne der Dichtung lebt dieses Verhältnis bis heute
fort. Aber auch in den Mythen, Sagen, Legenden Und Aberglauben, in Erlassen von
Fürsten und Bischöfen, in den Waldforschungen nachmittelalterlicher Forstleute.
Nach dem die Kirche massiv das verehren heiliger Bäume
verboten hatte und Zuwiderhandlungen unter drastische Strafen gestellt hatte,
waren es die Linden, die als einzige der alten Baumheiligtümer in die neue Zeit
hinübergerettet wurden. Nachdem an der alten Gerichts- oder Freya Linde ein
Kreuz oder eine Mariefigur befestigt worden war, sah der Klerus in den Bäumen
nichts mehr gefährliches mehr, und sie durften weiterhin im Mittelpunkt des
dörflichen Lebens stehen bleiben.
So wurde die Linde zu unserem wichtigsten Kulturbaum. Sie
blieb auch in christlicher Zeit der Schutz- und Familienbaum der den Familien
und der Gemeinde Schutz und Gesundheit bescheren sollte.
Anscheinend mag auch die Linde die Menschen, den nirgendwo
breitet sie sich so stark und mächtig als Einzelbaum aus wie in der Mitte der
Dorfplätze. Ganze Bücher voller Gedichte und Lieder sind geschrieben worden was
sich einst unter der alten Dorflinde ereignet hat. Junge Paare tanzten im
Mittelalter begleitet von der Handtrommel und der Flöte um den Baum. Vor allem
im Wonnemonat Mai löste in alter Zeit ein Tanzfest das andere ab.
Unter der Linde, soll Zwergenkönig Laurin die Schwester
Dietrichs von Bern geraubt haben, und hier besiegte Siegfried den Drachen.
Walther von der Vogelweide bereitete sein berühmtes
Liebeslager aus Heidekraut und Rosen unter der Linde, wohl folgten diesem
Beispiel viele Liebespaare nach Walther.
So sind die meisten Lindengeschichten oft auch
Liebesgeschichten, denn die Linde ist der Baum der Liebe. Bei den Germanen galt
Freya als die Göttin der Liebe und ihr war die Linde geweiht. Die Kirche Vereinnahmte
die Linde dann als „Maria Linden“. Der alte Kulturbaum lebte somit in seiner
uralten Symbolik weiter. Doch es sollte so nicht bleiben. Die friedliche
Koexistenz zwischen dem katholischen Glauben und den überlieferten
Volksbräuchen, die der Landbevölkerung so viele tröstliche Rituale zum Schutz
vor überirdischen Gefahren und zur Einteilung und Markierung der Stationen
ihres Jahresablaufs lieferte, erfuhr eine unsanfte Störung durch die
Reformation. Von heute auf Morgen war der Gebrauch von Heiligenbildchen,
Weihwasser, geweihten Palmzweigen, anbringen von Kreuzen an Lindenbäumen usw.
verboten; die meisten Feiertage zu Ehren irgendwelcher Heiligen wurden
abgeschafft, Wallfahrtsstätten wurden geschlossen. Diese Erfahrung muss ein
tiefes Trauma gewesen sein. Was an volkstümlichen Riten aus den Jahrhunderten
danach überliefert und gesammelt ist, strotzt nur so vor pathetischen
Versuchen, das wenige an spirituellen Kräften, das der Landbevölkerung in
verschiedenen Regionen noch zur Nutzung übrigblieb, aufzugreifen und in den
Dienst ihrer materiellen Bedürfnisse zu stellen.
Doch auch diesen Angriff sollte der alte Kulturbaum
überstehen. So sehen wir am Beispiel der Linde das bis in die jüngste Zeit
volkstümlicher Aberglaube und volkstümliche Bräuche ein integraler Bestandteil
des ländlichen Lebens in allen seinen materiellen, sozialen und religiösen
Aspekten gewesen ist aus dem die Bevölkerung zweifelsohne kulturellen Sinn und
Werte bezogen hat. So hat sich bis in die jüngste Zeit hinter dem „Kultbaum“ Linde
die alte germanische Göttin Freya versteckt und als aus der Linde ein
„Kulturbaum und Tanzbaum“ wurde, war dies auch nichts Neues, schließlich tanzte
man schon in archaischen Zeiten um Bäume, die Bräuche haben im Wechsel der
Kulturformen nur immer wieder neue Bedeutungen angenommen. So auch der
Freiheitsbaum, der ja oft von einer Linde repräsentiert wurde. Der Baum
gemeinhin mit dem Maifeiertag in Verbindung gebracht, wurde zu einem Symbol der
Freiheit. So auch das Tanzen um diesen Baum, wie auch das Tanzen um die
Tanzlinde. In unserer Gesellschaft hat sich das Tanzen auf der einen Seite zu
einer trivialen Freizeitvergnügung, auf der anderen Seite zu einer Kunstform
entwickelt. In den frühen Kulturen war der Tanz jedoch eine äußerst wichtige
kollektive Handlung der mit existenziellen und symbolischen Bedeutungen wie
Ernte und Aussaat zu tun hatte.
Man kann also davon ausgehen das die ländlichen
volkskundlichen Überlieferungen, wenn auch in einer zersplitterten Form in
verschiedenen Gegenden immer noch existieren. Für die Volkskundliche Forschung
ist es wichtig diese letzten Zeugnisse von Menschen die einfach ausgesprochen
noch um die „Linde tanzten“ aufzuzeichnen.
Lit. Hinweise:
Jacqueline Simpson: Volkstümliche Erzählungen und
Bräuche. In: Die Bäuerliche Welt;
Verlag ,; Verlag Büchergilde Gutenberg.
Susanne Fischer: Blätter von Bäumen; Irisiana – Verlag.
Jacob Grimm: Deutsche Mythologie.
Sir James Frazer: Der goldene Zweig. Rowohlt Verlag.
Alfred Kloss: Die Friedenslinde von Bruchmühlbach; Heimatkalender
Landkreis Kaiserslautern 1982.
Hans Wagner: Die Eiche in der deutschen Volkskunde: Kranz
der Wälder 2003.
Dr. Hilde Nittinger:
Von der Bedeutung der Bäume in der Landschaft; Zeitschrift schwäbischer
Heimatbund.
Hans Wagner: Mythologie der Bäume: In Zeitschrift: Der
Lebensbaum; Bad Windsheim.
Hans Wagner. Der Baum des Lebens: In Zeitschrift: Der
Runenstein.
hukwa