Freitag, 2. April 2010

Vom äußeren und inneren Wandern

Die Natur ist voller Wunder, lieber Cousin;

Uns wird nur der Einblick in einen sehr kleinen

Teil gewährt; es besteht wenig Hoffnung,

dass wir ihre Prinzipen einmal gänzlich verstehen

oder all ihre Geheimnisse enthüllen könnten.

J.-J. Rousseau



Seit ich auf dieser Welt bin erkunde ich sie mit meinen Füßen und meinem Geist. Täglich bin ich in den Wäldern unterwegs. Meine Beine wollen immer Richtung Wald gehen und mein Geist weilt meistens in meinem inneren Wald, jenem archaischen Urwald denn die meisten Menschen so gut wie nie aufsuchen. In diesem Bannwald, diesem letzten Urwald, leben noch die alten Mythen, Drachen und Dämonen. Wer dieses Waldgebiet nicht erkundet, sich nicht aufmacht seine geheimnisvollen Pfade zu begehen, wird irgendwann ein Gefangener dieses Waldes werden. Es wird ihm ergehen wie dem alten Merlin, der vor Sehnsucht nach den sinnlichen Dingen der Welt den alten Wald vergaß und schließlich ein Gefangener dieses Waldes wurde.

Sobald meine Füße den Wald betreten, betritt mein Geist denn inneren Bannwald. So sind meine Waldwanderungen immer innere und äußere Wanderungen. Es ist nicht so dass ich das grüne Reich der Wälder betrete und abschalte, nein, ich bewege mich dann in zwei Welten, einer inneren und einer äußeren, die nach einiger Zeit des Laufens zu einer Welt verschmelzen. Man muss die Kunst des Wanderns, das richtige Gehen nur beherrschen dann stellt sich der Zustand einer metaphysischen Wahrnehmung der Umgebung von selbst ein.

Wandern war für mich auch immer etwas Phänomenologisches. Es ist als würde ich während meiner Wanderung Risse in der zeit erkennen, die es mir manchmal ermöglichen in andere kosmische Zeiträume hineinzuschauen.

Seit frühester Kindheit bin ich ein leidenschaftlicher Wanderer. Niemand hat mich das Wandern gelehrt und bevor ich in die Schule kam hatte ich die Umgebung meines Geburtsortes bestens ausgekundschaftet. Ganz im Sinne wie der große Wanderer Thoreau einmal schrieb: "Man muss in die Familie der Spaziergänger hineingeboren werden. Ambulator nscitur, non fit", was heißen soll: Spaziergänger kann man nicht werden – man ist es durch Geburt! Diesem Stand, dieser Zunft der wirklichen Wanderer und Spaziergänger gehöre ich seit meiner Kindheit an. Man darf die Mietglieder dieser Gesellschaft nicht mit Sonntagswanderern oder Wochenendtouristen vergleichen, eher mit Morgenlandfahrern oder mittelalterlichen Pilgern. Denn für die Mietglieder meines Standes ist das Wandern nicht nur eine Betätigung des Leibes, wir sehen unsere Art zu Wandern auch als eine geistige Tätigkeit.

In der freien Natur lösen sich die Fesseln des Geistes und wir fühlen das es die Möglichkeit gibt einer großen Freiheit entgegen zu wandern. Das Wandern ist eine der letzten Freiheiten, die wir wenigstens für einige zeit täglich wählen können um uns in unserem robotisch vernetztem Gesellschaftssystem nicht ganz zu verlieren. Wandern hat vor allem mit Lust und Daseinsfreude zu tun und führt zu einer Erhellung unserer inneren Existenz. Wahrscheinlich waren deswegen auch die Epikureer, die berühmten Gartenphilosophen der Antike so leidenschaftlich Wanderer.

Ich wandere am liebsten alleine. Auf meinen täglichen Wanderwegen möchte ich mit meinem Geist und den Wäldern alleine sein. Es ist eine Zwiesprache mit der Natur, Meditationsgänge durch den Tempel Wald auf die ich mich bei meinen Spaziergängen begebe. Ein Gespräch findet hier statt zwischen den Wesen des Waldes und mir. Ganz im Sinne von Aristoteles der einmal sagte: Die Heimat des Philosophen ist dort wo er Denken kann! Und wo können wir besser Denken als im Wald während einer wunderschönen Wanderung?

hukwa