Begegnung im Wald Teil 2
Kein Windhauch, kein Vogelruf, noch nicht einmal das Gesumme von Biene und Hummel, durchbricht den Stummen Bann, dieses heißen Sommernachmittags. Die Hitze steht brütend über den wie erstarrt stehenden Bäumen. Selbst die Heuschrecken üben sich im Schweigen. Hoch oben im hellblauen Himmel, zieht der Habicht einsam seine Runden. Kein Mensch außer dem Jungen ist unterwegs. Bannstunde – Panstunde.
In tiefer Ruhe, ganz in sich verharrend stehen meditativ die Bäume. Da überkommt ein Zittern, das auf dem Boden liegende Laub, ein leiser Wind läuft durch das gras, das sich sanft nun wiegt. Langsam, ganz langsam und sacht regt sich leises Leben im Wald. Es scheint das die Natur nun aus einem Mittagsschlaf erwacht. Als hätte so eben der Märchenprinz die Prinzessin wachgeküsst und die Wirklichkeit kehrt nun wieder. So erschien dem jungen im Moment die Umgebung. Hatte er Geschlafen, geträumt oder war er in Gedanken versunken gewesen? In Gedanken die er vor einiger Zeit noch nicht hätte denken können, die ihn erst jetzt, durch seine Aufenthalte in der Natur heimsuchten. Wie Offenbarungen der Natur drangen sie in ihn ein, er spürte sie, ja er sah sie und doch wie sollte er sie in seinem kindlichen Denken fassen können. Ihm blieb nur die Kunst des Erahnens. Dies ist wohl eines der großen Geheimnisse der Kindheit, das es die Zeit im Leben eines Menschen gab, wo er sich geborgen fühlte in einer Welt voller Wunder. Eine Zeit da ihm das Denken noch jung erschien, in einem Anfangsstadium, wo er ganz im Schauen und Aufnehmen lebte. Damals in der Kindheit, als der Vorhang der Welten noch nicht ganz zugezogen war und noch die Möglichkeit bestand einen Blick auf das große Geheimnis zu werfen. Jenes Große das die Kinderzeit umschließt wie eine wärmende Aura. Eine Zeit in der man noch den Saum des göttlichen Mantels berühren durfte. Die Begegnung mit jener anderen Wirklichkeit, die nur Kindern oder wirklichen Weisen vorbehalten ist. Eine Welt des Schönen und des Rätselhaften tat sich dem Jungen hier, gleich hinter Großmutters Garten auf. Mit jedem Tag gab es neues zu entdecken. Auch jetzt da der Mittagsbann gebrochen schien und ein leichter Wind die Hitze des Tages, sachte durchkühlte. Der Junge sah um sich, da war nichts außer den Tieren und pflanzen des Waldes, der Sonne und dem leichten Wind. Doch spürte er tief in sich das hier viel mehr war, das ein Geschehen im Gange war, das nur für die Kinder und die Weisen dieser Welt bestimmt ist, das sich denn dumpfen, glanzlosen Blicken der Erwachsenen vollkommen entzog.
Vielleicht konnte es die alte Großmutter mit ihren liebevollen, Augen noch erkennen, bestimmt war dem so, aber sie schwieg gutmütig, ließ den jungen gewähren, wusste nur zu gut man darf den Kindern ihre Wachträume nicht rauben, sonst stiehlt man ihnen die Kindheit. Denn nur über die Träume der Kinder kann sich eine schlechte Welt in eine gute entwickeln.
Der Junge dringt nun tiefer in den Wald ein, lässt bekanntes Refugium hinter sich und wagt sich vor ins Unbekannte. Er träumt den Traum des Eroberers Neuer Welten und er erobert sie sich auch. Ist nicht jeder Schritt ins Unbekannte der Schritt in eine Neue Welt? Wo sich das Alte mit dem neuen zu einem Ganzen entwickelt? Jetzt steht er unter einigen Fichtenbäumen, tief atmet er die harzige Ausdünstung der dunkelgrünen Fichtennadeln ein. Hier ist es kühl und dämmrig. Er lässt sich auf dem weichen Nadelteppich nieder, betrachtet neugierig das spärliche Leben im Fichtenhain. Wenige Pflanzen wachsen hier. Er bestaunt die Nestwurz die er schon kennen gelernt hat. Den Wurmfarn mit seinen Rüsselchen und die Glöckchen des Wintergrüns. So weich ist der Boden, das er sich ganz niederlegt und in die Lüfte schaut. Von hier kann er kaum den Himmel erkennen, so dicht stehen die Baumwipfeln beieinander. Nicht weit von ihm entfernt, lässt sich nun, der schwarz – rot gefärbte Dompfaff nieder und der Knabe hört zum ersten mal das zarte und weiche "Lü Leut" dieses wundersamen Waldbewohners. Das rote Gefieder des Vogels steht nun im Kontrast zum Grün des Waldes und er spürt in sich die ganze Pracht seiner Umgebung, ein Ahnen ist in ihm das es hier noch viel zu erkunden gibt. Da erschallt ein geckerndes Geräusch, zwei Eichhörnchen jagen sich im Spiel, spielen ein vergnügtes Fangen in den Zweigen. Ein warmes Lächeln durchzuckt sein ernstes Antlitz und in seinen blauen Augen erscheint ein warmer Glanz. Eine Freude die nur dem Kind eigen ist durchzuckt seine Seele und es scheint ihm wieder als würde es mit seiner Umgebung verschmelzen. Jetzt erhebt sich der Knabe vom weichen Waldboden und verlässt behutsam auftretend den dusteren Fichtenhain. Es ist schon später Nachmittag als es den Platz wo es gestern, so gedankenverloren spielte erreichte. Neugierig sieht der Junge sich um. Wird er das seltsame Wesen das er gestern hier traf wiedersehen? Leise nähert es sich der Stelle wo es das Wichtelmännchen zum ersten Mal gesehen hatte. Spähend durchforsten seine Augen nun wieder das Pflanzendickicht. Diese grüne Mauer von Wurzeln, Steinen und Brombeerbüschen. Er schaut die Strukturen und Bildungen der Natur, die Zeugnis ablegen von einem ewigen Werden und Vergehen. Der Knabe der noch nicht richtig Lesen und Schreiben kann, dem die langweilige Routine von trockenen Buchstaben, noch nicht gelehrt worden ist, dessen Inneres noch nicht verschmutzt ist von billiger Schulmeisterei, liest hier im wirklichen Buch des Lebens und jeder Buchstabe wird ihm zu einer Offenbarung. Denn er studiert gerade das Schöpfungsalphabet der großen Mutter Natur. Das erste Mal in seinem jungen Leben ahnt er, hier ist mehr, vielmehr, als er später in allen Schulbüchern lesen wird. Hier an diesem Ort im Wald ist das große Geheimnis verborgen, wo nach die Weisen aller Zeiten immer suchten. Entfernt von den verlogenen Örtlichkeiten der Erwachsenenwelt gedeiht das wirkliche Mysterium. Im Frieden des Waldes findet der Mensch zu sich selbst und dem Kind ist er natürliche Heimstatt. Der Knabe schaut sich um. Er sieht die faszinierende Muster der Natur, ein kleiner Organismus in ständiger Entwicklung. Überall ist Bewegung, urtümliches Geschehen, wie man es nur im Wald erblicken kann. Hier sprengt eine zähe Wurzel den harten Sandstein, in solch kleinen Naturwundern liegt der verborgene Schein des Daseins. Eines Daseins das sich nur dem offenbart der noch des Staunens fähig ist.
Das seltsame Wesen bleibt verschwunden. Doch dann entdeckt der Junge etwas. Einen wundersam geformten Stein, der, an einem aus Pflanzen, geflochtenen Pfaden hängt. Woher kommt dies seltsame Objekt, fragt er sich? Hatte das unbekannte Wesen hier diesen Stein verloren? Wurde er hinterlegt für ihn? Bedächtig nahm er den Stein an sich, steckte ihn in seine Hosentasche. Er wusste es war nun Zeit nach Hause zu gehen, die alte Großmutter wartete. Aber Morgen, ja Morgen kommt er wieder hierher...
hukwa