Donnerstag, 7. Mai 2009

Der Fliegenpilz...


Therapie und Selbsterfahrung
Hexendroge-Zauberpflanze-Glückssymbol
Mythologie und Mykologie
Eine Gradwanderung zwischen Ethnobotanik und Ethnopsychotherapie
Versuch einer Ganzheitlichen Betrachtung über Amanita muscaria (A.M.)
Ein Referat von Hans Wagner



Therapie ist Erlebnis und Selbsterfahrung. Je intensiver jemand davon betroffen ist, desto
mehr kann er dem interessierten Zuhörer einen Eindruck vermitteln. Trotzdem kann dieser das, was er hört, nicht nacherleben. Er kann nur den erleben, der etwas erlebt hat. In diesem Bericht begeben wir uns auf eine ( manchmal ) äußerst gefährliche Gradwanderung
vor allem dann wenn ich über jene Selbsterfahrungen berichte, die ich mit Amanita muscaria erlebt habe. Ich warne hier jeden davor sich auf solche Selbstversuche einzulassen, obwohl mir natürlich bekannt ist, das in gewissen Kreisen, die Einnahme von
Fliegenpilzen eine Modeerscheinung geworden ist. Allerdings handelt es sich hier um das
Konsumieren, eines bei vielen Völkern, als heilig verehrten Pilz und letztendlich, vielleicht
auch gerade deswegen, ist die Endstation vieler dieser Drogenfreaks die Nervenheilanstalt.
Trotzdem bin ich der Meinung: Was vorhin, gestern, damals und anderswo passiert ist, kann man nicht nacherleben, wenn man davon hört. Entweder ist man dabei und erlebt
direkt und selbst – oder man lässt sich informieren. Informiert werden ist aber etwas ganz anderes als erleben. In diesem Artikel möchte ich versuchen den Fliegenpilz in seiner ganzheitlichen Geschichte also : Mythologie, Hexendroge, Glückssymbol, Ethnomedizin, Heilmittel als auch meine persönlichen Erfahrungen, mit Amanita muscaria darzustellen.
Ich muss hier natürlich um eine etwas objektivere Darstellung der Geschichte des Fliegenpilzes auch auf andere Autoren zurückgreifen. Diese Informationen anderer Autoren
gebe ich am Ende dieses Artikels in einem Literaturnachweiß bekannt.
Zur Einführung :
FLIEGENPILZ
Amanita muscaria ( Fr.) Hook.
Wichtigste Kennzeichen:
Der Fliegenpilz gehört sicherlich überall in Europa zu den bekanntesten Vertretern der Pilze. Ja ich möchte behaupten, er ist der bekannteste. Man erkennt ihn schon von weitem an seinem schönen roten oder orangegelben Hut, der mit weißen Flocken bedeckt ist. Im Jugendzustand erscheint er zunächst als kleine weißliche Kugel, bald aber breitet sich der Hut aus, die weiße Velumschicht löst sich, in jene dicken flocken auf, die meistens auf der Oberfläche haften bleiben. Der Rand trägt eine zarte Reifung. Die Lammellen bleiben stets weiß, stehen dicht gedrängt und sind nicht am Stiel angewachsen. Der Stiel bleibt weiß und trägt einen sehr langen, lappigen, herabhängenden Ring. Wie alle Pilze der Amanita Gruppe wächst der Fliegenpilz aus einer Gesamthülle, von dieser erkennt man aber nur noch einen Warzengürtel an der Stielknolle. Das Fleisch ist Geruch – und geschmacklos und unter der Huthaut gelblich getont. Verwechslungsmöglichkeit mit dem Königs-Fliegenpilz Amanita regalis, der allerdings vorwiegend im Bayerischen Wald beheimatet ist. Der Fliegenpilz bildet seinen Fruchtkörper von Juli bis Oktober.

Er ist der traditionelle Zauberpilz sibirischer Schamanen. Man findet ihn in fast allen Teilen der Erde. Schon immer eine begehrte Zauberpflanze, von Schamanen, Zauberern und Heilern verehrt, vom gewöhnlichen Menschen als Giftpilz gefürchtet. Getrocknete Fliegenpilzhüte oder in den Presssaft des Weidenröschens eingelegte Stücke werden von den tungusischen Schamanen eingenommen, um in Trance zu verfallen. Die Pilze werden oft als Zwerge personifiziert, die im Besitz der Droge als Allmächtig gelten. Wer kennt nicht das Kinderlied, " ein Männlein steht im Walde ", das eindeutig auf den Fliegenpilz anspielt. Bei den taoistischen Alchymisten dienten Fliegenpilzextrakte als Zutaten zu diversen Unsterblichkeitselixieren. Im Hindukusch hat sich ein altes Ritual erhalten, bei dem Fliegenpilzstücke, mit Bergspringkraut und übersäuerter Ziegenkäselake gekocht werden.
Diesem Sud werden gelegentlich die samentragenden Blütenkelche des Bilsenkrautes beigemengt. Der Fliegenpilz heißt dort Tschaschbaskon das bedeutet " Augenöffner. Der Fliegenpilz wird oft mit den klassischen Zauberpflanzen Haoma und Soma in Verbindjung gebracht. Viele Ethnologen glauben, das rätselhafte Soma, das arische Einwanderer nach Indien mitbrachten, nichts anderes als Amanita muscaria war. Die Hymnen, welche die Priester zu Ehren, des verheerlichten Soma sangen, der die Menschen den Göttern gleichsetzt, sind im Rig – Veda enthalten :
" Der Trank hat mich fortgerissen wie ein stürmischer Wind...
das Denken hat sich mir dargeboten, wie eine Kuh ihrem kleinen Liebling...
Die eine Hälfte des Ich lässt die beiden Welten hinter sich...
Ich habe an Größe diesen Himmel und diese Erde übertroffen...
Ich merke das ich Soma getrunken habe"...
In der vedischen Religion gab es keinen Tempel und pompöse Schauzeremonien. Die Religion manifestierte sich im Menschen als mystische Erfahrung. Dazu wurde der Somatrank eingenommen. Er bewirkte eine ekstatische Verschmelzung mit der Ewigkeit und den Göttern. Er schenkte Visionen von der wirklichen Welt, machte Unsterblich, Unbesiegbar, verhalf zu glückseligen Liebesregungen. Wahrscheinlich war Soma ein Oberbegriff und bezeichnete eine Reihe von Psychoaktiven Pflanzen. Doch dürfte es als sicher gelten das der Fliegenpilz, in Soma enthalten war. Die Hexensalben des Mittelalters sind mit aller Wahrscheinlichkeit ein billiger Verschnitt des vergessenen Trankes des Altertums – SOMA. Die Ägypter nannten ihn Rabenbrot, eine Bezeichnung, die sich auch in Ost – und Mitteleuropa bis heute erhalten hat. Auch die Anhänger des Dionysos verzehrten bei ihren Mysterien den Pilz, der enorme Körperkraft, erotische Potenz, wahrhafte Visionen
und prophetische Gaben verlieh. Bei den Germanen war der Pilz Wotan – Odin zugeordnet.
Der Sage nach entstanden Fliegenpilze dort, wo der Schaum aus dem Maul von Odins Pferd auf die Erde tropft. Der Name Rabenbrot deutet in seiner germanischen Wurzel auf die beiden Raben Odins hin. Der deutsche Name Fliegenpilz leitet sich wahrscheinlich von der Fliege als Zaubertier oder der Kraft des Pilzes, den Menschen " fliegen " zu lassen her.
Jacques Brosse schrieb über den Fliegenpilz : " Aber das Geheimnis der Rolle, der Rolle der
Birke in den Schamanistischen Riten, beruht eher auf ihrer symbiotischen Verbindjung mit dem Fliegenpilz, den die Schamanen essen, um den Trancezustand herbeizuführen. Der Fliegenpilz bildet Lebensgemeinschaften mit den Wurzeln bestimmter Bäume, aber am liebsten ist ihm die Birke; an ihrem fuß hat man die meiste Aussicht, ihn zu finden. Am zweithäufigsten wächst er bei der Fichte, die bei den sibirischen Völkern oft als Weltenbaum gilt. Isst man vom Fliegenpilz, so wird man zuerst für eine Weile schläfrig, aber später wird man aufgeregt und angeregt, die großen körperlichen Leistungen zu vollbringen, die so berühmt sind." Die ersten Wirkungen treten ungefähr eine Stunde nach Einnahme auf. Das Gesicht hellt sich auf, der Körper wird von einem leichten Beben durchlaufen, dann gerät er in einen Zustand lärmender Aufgeregtheit, manchmal mit aphrodisischen Nebenwirkungen. Der vom Pilz Berauschte tanzt und lacht dann wiederum zeigen sich jähe Wutanfälle mit Heulen und Schimpfen. Er hat akustische und viduelle Halluzinationen; die Form der Gegenstände ändert sich, ihre Umrisse sind verdoppelt. Dann wird er blaß und völlig bewegungslos, als sei er in tiefsten Erstaunen befngen. Nach ein paar Stunden kommt er zu sich und weiß nichts von dem Anfall, denn er erlebt hat. So berichtet J. M. Pelt in seinem Buch, Drogues et Plantes Maqigues, in Wesreuropa wurde der Fliegenpilz meist für schädlich gehalten.
Bereits im 16. Jahrhundert berichtete der Botaniker Jean Bauhin, er heiße in Deutschland der Pilz der Verrückten. Der Volksglaube bringt ihn oft mit der Kröte, dem Tier der Hexen in Zusammenhang. Er steht wie sie mit düsteren Mächten in Zusammenhang und andererseits mit dem Mond und dem Regen. Im englischen ist einer der populären Namen
des Pilzes Toadstool, d.h. Krötenstuhl. Alle diese scheinbar unzusammenhängende Einzelheiten deuten auf einen GEMEINSAMEN Fluchtpunkt hin: den schamanistischen Gebrauch des Fliegenpilzes. Alle modernen Untersuchungen stimmen darüber überein, das
Amanita muscaria, im Gegensatz zu Amanita phalloides, dem ABSOLUT tödlichen Knollenblätterpilz, nicht giftig ist, das heißt, nicht tödlich giftig wie sein Verwandter. Auch die populäre Etymologie, wonach man den Namen Fliegenpilz von einer Verwendung als Fliegengift ableiten müsse ist falsch. Wenn man nämlich experimentell prüft, was mit einer Fliege geschieht, die von Milch getrunken hat, in der Fliegenpilze eingeweicht wurden, beobachtet man, das sie nur Scheintod wird. Sie fällt zwar nach kurzen Flugversuchen betäubt nieder, erhebt sich aber nach einiger Zeit gesund wieder. Der Ausdruck bezieht sich also eher auf das fliegen als auf die Fliege.
Für die Orolschen , ein tungusisches Volk, reinkarnierten sich die Seelen der Toden im Mond und kamen so wieder auf die Erde zurück. Über einen in Sibirien sehr verbreiteten Volksglauben berichtet der finnische Historiker Uno Halmberg-Hava in Siberian Mythologie:
Der Geist der Birke ist eine Frau reifen Alters, die manchmal zwischen ihren Wurzeln erscheint, manchmal aus dem Stamm hervortritt, wenn man sie in guter Absicht beschwört. Sie zeigt sich bis zur Mitte mit gelöstem Haar und streckt die Arme aus; ihre Augen blicken den Gläubigen ernst an und sie präsentiert ihm ihre nackte Brust. Wenn er ihre Milch getrunken hat, fühlt der Mensch seine Kräfte verzehntfacht. Wie R. Gordon Wasson, der Kenner der psychedelischen Pilze, bemerkt, handelt es sich fast sicher um den Geist des Fliegenpilzes: Sind diese Brüste etwas anderes als der Busen, Udhan, des Rig-Veda, der milchspendende Hut des Fliegenpilzes. In einer Variante derselben Erzählung gibt der Baum, einen himmlichen, gelben Saft ab. Handelt es sich nicht um das gelbrote Paraamana des Rig-Veda ? Wasson der lange Zeit die Wirkungen der verschiedenen psychedelischen Pilze, in der ganzen Welt erforscht hat, ist heute überzeugt, die bisher so geheimnisvolle Pflanze gefunden zu haben, aus der man den Somatrank gewann. Wie schon Anfangs bemerkt, von den Ariern als Gottheit verehrt und in hundertundzwanzig Gesängen des Rig-Veda gefeiert, ist der Soma der König der Pflanzen, der König und Lenker, der Wasser – aber auch ihre Urquelle –manchmal auch der König der Götter und der Sterblichen, oder alles dessen, was die Sonne sieht, der König der Welt. Sein saft ist der Regen, der die Pflanzen wachsen lässt, und deren Saft selbst, das Lebenselixier, das Vorbild und die Essenz, jeder lebensspendenden Flüssigkeit, das nährende Prinzip der Speisen und Getränke, als auch die Milch der Kuh und der Samen des Hengstes in seiner männlichen Kraft. Diese Erwähnung des Pferdes ist hervorzuheben. Das Agnistoma, die Opferung des Soma, der vor der Darbietung rituell ausgepresst wurde, sollte die Götter erfrischen, besonders Indra, den Gott des Blitzes und der Krieger, der ihn bis zum Missbrauch liebte, aber er war auch eine magische Zeremonie von großer Wichtigkeit: Der Soma, perlend und fließend, lässt den Himmel weinen. Der Soma wurde also in Verbindjung mit Blitz und Regen, zusammen mit Agni gefeiert, wie der Name dieses Rituals besagt. Mit Agni, dem vom Himmel herabgestiegenen Gott des Feuers, bildete der Soma eine Polaritätsbeziehung, ein Paar. Im übrigen wurde der Soma mit dem Mond als dem Aufentshaltsort der Toden identifiziert. Anders gesagt, der Gott Soma besaß viele auch für den Weltenbaum und besonders für den Baum des Schamanen, die Birke, charakteristische Züge. Die Beschreibung die in den alten Sanskrittexten über die Pflanze gegeben wird passt besonders gut zum Fliegenpilz. Im Rig-Veda wird er mit einer weiblichen Brust verglichen, die mit Tropfen ihrer göttlichen Milch besprengt ist, was an die weißen Schuppenreste der Haut erinnert, die den Hut zieren. Nun konzentriert sich, das Muscarin, die Substanz, die für die Verwirrungen verantwortlich ist, die sich nach dem Verzehr des Pilzes zeigen, vor allem in der haut des Hutes. Die Hymnen vergleichen die rote glänzende Haut der Pflanze mit der Haut des roten Stieres, auf die der Soma in der ersten Phase des Opferrituals gelegt wurde. Die Hymnen sagen ferner, der Soma leuchtete Tagsüber und sei
in der Nacht von silbernen Weiß. Am Tag zeigt der Fliegenpilz das märchenhafte Schauspiel seiner Farben, und in der Nacht verblassen letztere und nur, die Fragmente der weißen Hülle, sind im Mondlicht sichtbar, wie übrigens auch die Rinde, der Birke. Schließlich hat der Fliegenpilz eine ganz besondere, in der Pflanzenwelt vielleicht einzigartige Eigenschaft, die auf merkwürdige Weise diese Identifikation bestätigen könnte. Das aktive psychedelische Prinzip, das Muscarin, geht sehr rasch in den Urin über, dessen, der es zu sich nimmt. Die Völker des nordöstlichen Sibiriens kennen diese Besonderheit so gut, dass sie sich, vielleicht dem Beispiel der Rentiere folgend, die Urin und Fliegenpilz mögen, angewöhnt hatten, den Urin der Fliegenpilzesser zu trinken und die Wirkung hielt bis in die vierte oder gar fünfte Generation der Trinker an. Nun wird aber im Rig – Veda mehrmals gesagt, das die Götter vor allem Indra, reichlich Soma urinieren. Möglicherweise ist es also der Somahaltige Urin der Götter, von dem man glaubte, das die vedischen ihn tranken. In seinem Buch " Die weiße Göttin " schreibt Robert von Ranke-Graves : Das wichtigste mänadische Rauschmittel war wohl Amanita muscaria, der weißgefleckte Fliegenpilz, der allein die nötige Zauberkraft verleiht. Hier werden wir an Phoroneus, den Frühlingsdionysos
und Erfinder des Feuers erinnert. Er erbaute die Stadt Argos, deren Emblem laut Apollodor eine Kröte war; und Mykene, die Hauptfestung von Argolis, trug nach Pausanias diesen Namen, weil Perseus, der sich zum Dinonysus-Kult bekehrt hatte, auf ihrem grund einen Fliegenpilz gefunden hatte. Dionysos hatte zwei Feste – im Frühling das Anthesterion, das
Blumensprießen – und das herbstliche Mysterion, das vermutlich soviel heißt wie Sprießen der Fliegenpilze; Mykosterion war als Ambrosia, Speise der Götter bekannt. War Phroneus auch der Endecker eines dem Fliegenpilz innewohnenden göttlichen Feuers und mithin sowohl Phryneas ( Krötenwesen ) als auch Fearinus, d. h. Frühlingswesen. Amanita muscaria, wenngleich kein Baum, wächst doch unter einem Baum; nördlich von Theakien und in den keltischen Ländern bis zum Polarkreis stets unter einer Birke. Südlich von Griechenland und Palästina, aber bis zum Äquator, unter einer Tanne oder Fichte. Im Norden ist Amanita scharlachrot, im Süden eher fuchsrot...

Der Fliegenpilz als Heilmittel

War bisher vorwiegend von der Mythologie des Fliegenpilz geschrieben worden, möchte ich nun auch auf die Wirkung des Pilz als Heilmittel kommen. Dennoch muss ich darauf aufmerksam machen das auch hier der soziokulturelle Kontext von ausserordentlicher Bedeutung ist. Der Bedeutungswandel des Fliegenpilz als heilige Pflanze hin zu einem Symbol des Terrors, das wir der Kirche zu verdanken haben, der sich im Lauf der Zivilisation vollzogen hat, muss heruntergebrochen werden auf die veränderte Beziehung zwischen Mensch und Natur. Insofern kann der Fliegenpilz ohne Zweifel auch verstanden werden als Erinnerung der Natur an die ständige, sehr langsame, nichts desto trotz dramatische Veränderung der Beziehung der Menschheit zu sich selbst.
Die Vielfalt von Pflanzen als Nahrungsmittel bedeutet eine Vielfalt von pflanzlichen (vegetabilen) Stoffen und damit einen ursprünglichen Reichtum an körper- und geiststeuernden Substanzen unterschiedlicher Intensität. diese auch Pflanzenhalluzinogene
genannten Substanzen können den Geist und den Körper auf besondere Weise beeinflussen, verändern und auch heilen.
Da die Wirkung solcher Pflanzen bisweilen Furcht, anderseits aber auch Faszination auslöst, ist es verständlich, das sie im religiösen Bereich vieler Kulturen, wie wir bereits gelesen haben, aber auch Heute noch eine bedeutende Rolle spielen.
Ihre pharmakologischen Substanzen sind zwar ihre Hauptbestandteile, sie sind aber nur zum Teil für die sehr differenzierte Wirkung auf Psyche und Physis des Konsumenten verantwortlich. Denn ausschlaggebend für diese oft visionären Erfahrungen können auch andere, im pharmakologischen Sinne weniger messbare Faktoren sein. Von besonderer Bedeutung für Ethnopharmakologen sind hier natürlich kulturspezifische Glaubens- und
Symbolsysteme, dazu kommen persönliche Erfahrungen und Kenntnisse, ferner bewusst
eingesetzte, das Erlebnis unterstützende Methoden, wie Diäten, Fasten oder Schwitzbäder
sowie die Motivation der Einnahme und die Stimmung des Konsumenten. Strukturierend
können auch Musik, Tanz, Gesang und der Einsatz von Räucherwerk während der Erfahrung wirken. ( Dobkin De Rios 1984; Weil 1974; Rosenbohm 1995).
Besonders Schamanen zeichnen sich durch einen kundigen und dadurch oft privilegierten
Umgang mit solchen heiligen Pflanzen aus. In ihrer durch diese Substanzen induzierten Ekstase treten sie in Kontakt mit der Welt der Götter, Geister und anderer übernatürlicher Wesen und Übersetzen ihre Erlebnisse für ihren Stamm oder ihre Gruppe in die als glaubhaft akzeptierte, traditionelle Symbolik, in den kulturspezifischen " Code ".

Der Fliegenpilz – Symbol einer verlorengegangenen Beziehung zur Natur ?

So schreibt Alexandra Rosenbohm zu dieser Thematik: Der Fliegenpilz ( Amanita muscaria )
ist in Nord- und Mitteleuropa fast überall bekannt. Er fällt nicht nur optisch durch sein prägnantes Äußeres auf, sondern bezieht einen großen Teil seiner Prominenz wohl auch über seine Zuschreibung als Giftpilz par excellene . Und als Giftpilz ist der Fliegenpilz, zumindest in unserer Kultur, zum Symbol geworden für die Gefährlichkeit der Natur, für ihre unheimlichen Abgründe und unsere Unfähigkeit, sie angemessen wahrnehmen zu können. Trotz seiner so sicher vermuteten Giftigkeit finden sich aber in unserer industrialisierten Welt Fliegenpilze und Fliegenpilz-Darstellungen zuhauf : In Kinderbüchern, als Spielgerät auf dem Spielplatz, als Süßigkeit aus Marzipan, als Spardose oder Strickliesel, in der Werbung als auch im Comic, schließlich als Mordwaffe in Krimis oder auch als glücksbringendes Amulett. Wie erklärt sich aber diese gleichzeitige Besetzung des Pilzes sowohl als totbringender Giftpilz wie auch seine Beliebtheit als glücksbringendes Symbol ? Diese seltsame Diskrepanz legt nahe, das der Pilz einmal – in früheren Zeiten – eine bedeutendere rolle als Heute gespielt haben muss.
Eine alte deutsche Bezeichnung für den Fliegenpilz ist wie schon erwähnt wurde " Krötenstuhl " . Man stelle sich vor das eine Kröte auf dem Pilz saß und ihre giftigen Sekrete
in den Pilz schwitzte. Die Bedeutung der Kröte als Hexentier ist bekannt. Das Grimm`sche
Wörterbuch legt uns dazu nahe, das der Begriff Kröte auch synonym mit "Hexe", "Fee", oder "Zauberer" verwendet wurde, außerdem heißt es dort, das der Hexentanz auch
" Krottentanz " genannt wurde. Nicht erst Shakespeare lehrte uns, das Kröten neben anderen Nachtschattengewächsen ein Bestandteil der Hexentränke und Hexensalben waren – getrocknete Fliegenpilze haben manchmal eine verblüffende Ähnlichkeit mit Kröten – aber dies ist natürlich kein Indiz für den Gebrauch von Fliegenpilzen in diesen Zusammenhängen. Doch ist es nicht töricht, angesichts des häufigen Vorkommens des Pilz in Nord –und Mitteleuropa zu glauben, die kräuterkundigen weisen Frauen hätten neben der Fülle an anderen geistbewegenden Substanzen den Fliegenpilz nicht gekannt ? Und könnte es nicht sein, das der Gebrauch solcher Pflanzen aus bekannten Gründen verborgen werden musste und deshalb als Kröte markiert wurde ?
Zuverlässige Informationen darüber, auf welche Weise der Fliegenpilz als geistbewegende Substanz gedient haben könnte, liefern uns ja die bereits genannten älteren Quellen. Vor allem bei den sibirischen Schamanen, ist der Fliegenpilz heute noch in Gebrauch. Wir wissen, das gerade im Bereich des Schamanismus ein völlig anderes Krankheitsursachen und Heilungswirkungskonzept existiert. Denn was Krankheit ist, was sie bedeutet, wo Heilung beginnt, und was als Heilmittel wirken kann, ist vor allem kulturell determiniert. Ist der Fliegenpilz in Sibirien für Heilungszwecke in schamanischen Ritualen eingesetzt worden
und zwar wird hier die Medizin nicht vom patienten sondern in der Regel vom Schamanen eingenommen, so wird der Pilz in unserer Kultur u.a. in der Homöopathie angewendet.
Wie heilend der Fliegenpilz auch ohne vorgeschriebene Rituale manchmal wirken kann, dafür gibt es Fallbeispiele : W. Bauer ( 1992 ) berichtet von einem jungen Mann,
" Finanzschüler in M. ", der sich 1955 mit vier Fliegenpilzen umzubringen versuchte, weil ihm sein Mädchen einen Korb gegeben hatte, und der doch hoffte, sie zurückzugewinnen, erfüllte der Pilz ( auf seine Weise ) alle seine Wünsche. Nachdem er die frischen Pilze mit Mühe heruntergewürgt hat , sich alsbald " wie auf Eiern fühlt " und ihm die Knie weich werden, schleppt er sich aus dem wald, damit man ihn findet wenn er liegen bliebe. In einer Gaststätte trinkt er eine Brause. Ihm wird dabei so übel das er sich erbrechen muss.
Er wankt zu seiner Schule, meldet sich beim Pförtner, fällt dort wie tot um und verliert das Bewusstsein. Nach zwölfstündigen Tiefschlaf erwacht er im Krankenhaus. etwa acht Stunden später treten Halluzinationen auf. Er hört – neben anderen Personen – im Nebenzimmer deutlich die Stimme seiner Freundin. Die Treulose, die am ganzen Unglück schuld ist weint um ihn ! Also war sein Suizidversuch nicht vergebens ! Die Ärzte lassen sie aber, so meint der Patient, wegen seines Zustandes nicht zu ihm. ( " Wunschbetonte Verkennung " heißt es in dieser stelle im Krankenhausbericht .) Ihm selbst kommt später
( nach gutem Zureden der Ärzte ) die Sache " nicht mit rechten Dingen zugehend vor ".
Anfänglich ist er aber von der Realität seiner Wahrnehmung fest überzeugt. Bei der folgenden Visite macht er wieder einen " geordneten Eindruck ", laut Krankheitsbericht. Am vierten Tag nach der Intoxikation ist er "psychisch frei und unauffällig". Um Eindrückliche Erfahrungen reicher, kann er das Krankenhaus verlassen.
In einem anderen Fall ( um 1920 ) glaubt ein älterer Mann, sein Testament machen zu müssen, weil ihm – nach einer akuten Fliegenpilzvergiftung – sein Zustand zu Befürchtungen Anlaß gibt. Er vermag sich aber nicht zu konzentrieren, um seinem Sohn seinen letzten willen kundzutun. Stunden später erlebt er eine Blocksbergszene : Er hört
Flötentöne, nach denen die Hexen tanzen. Abendwolken, die er durch das Fenster sieht, werden zu Gewitterwolken, " zwischen denen sich Walküren tümmeln ". Er erklärt den Umstehenden, dass es ihm auf keinen Fall, Leid getan habe, das er das alles gesehen habe, und auch dann wenn er mit, " allem zahlen müsse ". ( Zu diesem zeitpunkt glaubt der Patient noch er müsse seinen ausflug nach Walhalla mit dem Leben zahlen ). Das Protokoll konstatiert ein " gelassenes Behagen " mit dem der Kranke " das fesselnde Schauspiel " weiterhin betrachtet. Später erzählt er, das er früher viel und gern alte Heldensagen gelesen habe. Zum Schluß erscheint ihm der Allvater und zeigt ihm das Weltall. Er selbst muss das Weltrad treten. Schließlich glaubt er, er sei Gott und müsse den neuen Menschen erschaffen. Er durchlebt dann, nicht ohne Zagen und Bangen, wie er sagt, " die verschiedenen Zeitalter ", in denen er viele Abenteuer zu bestehen hat und nur knapp dem tot durch Erschießen oder Vergiften entgeht.

Nach diesen Fallbeispielen unbewusster Einnahme des Fliegenpilzes in unserer Welt ist
es interessant, den mehr oder weniger kontrollierten Umgang mit dem Pilz im traditionellen
Zusammenhang dagegenzusetzen, so wie ich ihn in verschiedenen Quellen dargestellt habe.
Wird fortgesetzt!
hukwa