Donnerstag, 6. April 2023

Der Satz des Anaximander

 „Aus welchen (seienden Dingen) die seienden Dinge ihre Entstehung haben, dorthin findet auch ihr Vergehen statt, wie es in Ordnung ist, denn sie leisten einander Recht und Strafe für das Unrecht gemäß der zeitlichen Ordnung“.

(Diels: Fragmente der Vorsokratiker).

In etwas freierer Übersetzung nach Friedrich Cramer lässt sich sagen:

Woraus immer ein Ding, eine Sache, ein Zustand entsteht, dorthin kehrt es naturgeschichtlich wieder zurück. Der Prozess des Ablösens oder Erscheinens ist reversibel. Anfang und Ende gehören zusammen, das Ding kann seinen Ursprung nicht vergessen und kehrt in einer zyklischen Bewegung wieder in ihn zurück, mit anderen Worten: allles kreist,ist rückgekoppelt, ist reversibel“.

Friedrich Cramer: Der Zeitbaum.

Der Philosoph Anaximander geboren 610 v.Chr. stammte aus Milet. Das Milet im 6.Jahrhundert war ein bedeutender Handelshafen und wahrscheinlich die reichste Stadt der damaligen griechischen Welt. Hier endeten die großen Karawanenstraßen die aus dem Orient kamen, hier wurden die Waren in Schiffe verladen und nach Griechenland verfrachtet. Hier fand der erste Austausch zwischen frühester abendländischer Philosophie und dem Gedankengut des Orients statt. Gedanken und religiöse Lehren die sich mit dem Denken der vorsokratischen Philosophie vermischten. Milet wurde zur Geburtsstätte der abendländischen Wissenschaft und Philosophie. Die ersten drei großen Philosophen der Vorsokratik wirkten hier: Thales, Anaximander und Anaximenes.

Anaximander war milesicher Bürger und zeitgenosse des Thales, wahrscheinlich sogar ein Schüler von ihm. Er wurde zum eigentlichen Begründer der abendländischen Philosophie. Seine Lehre legte er in einer Schrift nieder, die wohl den Titel „Über die Natur“ trug und die nur als Fragment überliefert ist. Man nannte ihn auch den „ersten Metaphysiker“ wegen seiner Lehre vom „apeiron“, das er als den „ungeformten Weltstoff der Dinge“ ansah, das Urprinzip, ein unendlich Gestaltendes. Dieses apeiron liegt alller stofflichen existenz voraus und enthält in sich alle qualitativ-bestimmbare Dinge, die sich durch Aussonderung der Gegensätze bilden (warm u. kalt, Feuer u. Luft usw), auf diese Weise können unendlich viele Welten nebeneinander und nacheinander entstehen und auch wieder vergehen.

Zum Satz des Anaximanders schrieb Diels: „Nur ein einziger Satz ist uns aus seiner Schrift erhalten, der uns zweierlei zeigt: einmal das er unter dem Einfluß orphischer Mystik die Existenz der Einzelwesen als eine unrechtmäßige Emanzipation vom ewigen Sein auffasste und damit die Notwendigkeit ihres untergangs begründete...ferner das er bei der Kosmogonie der Orphiker sich nicht beruhigte, sondern die Entstehung der Welt in eigenartiger Weise zu erklären suchte“.

Wenn man über den Satz des Anaximander nachdenkt könnte man den Schluss daraus ziehen, er meinte damit eine Art von „Seinsvergessenheit“.

Noch eine Reihe weiterer fruchtbarer Ideen schenkte dieser Denker der Philosophie.

Mit dem Hintergrund der heutigen ökologischen Krise kann man sagen Anaximander war der erste Philosoph der ökologisch dachte und argumentierte.

Anaximander spricht im Sinne des Weisen Solon von einer „Rechtsgemeinschaft der natürlichen Dinge“.

Jedes Ding, jede Kreatur, das sich aus den Vorräten der Natur bedient, muss diese Entnahme wieder an die Natur zurückgeben. Alles was eine Form annimmt macht irgendwann Platz für neue Formen.

Anaximander geht hier schon in die Richtung des „ewigen Werdens“ von Heraklit: die uabänderliche Gesetzmäßigkeit allen Naturgeschehens. Denn der Richter der die Buße festsetzt heißt Aion (Zeit). 

©hukwa