Das alte Steinrelief bei der Burg Wilenstein gibt dem
Heimatforscher und Heimatkundler Rätsel auf. Wer hat es in die Felswand
gehauen? Ist es ein frühzeitliches Kultrelief? Stammt es aus der Keltenzeit?
Besteht ein Bezug zur Burg Wilenstein (was man nicht ausschließen darf) oder
hat es ein abergläubischer Mensch vor hundert oder zweihundert Jahren in die
Felswand geschlagen? Wahrscheinlich werden wir nie erfahren warum dieses
„Gesicht“ dort angebracht wurde. Doch die Aufgabe des Heimatkundlers ist nun
einmal den Dingen auf den Grund zu gehen und bei einer solch rätselhaften Angelegenheit
steht am Anfang einfach einmal die Vermutung, die These.
Bis in die jüngste Zeit sind volkstümlicher Aberglaube und
volkstümliche Bräuche ein integraler Bestandteil des ländlichen Lebens in allen
seinen materiellen und sozialen Aspekten gewesen und haben hieraus ihren
funktionalen Sinn und Wert bezogen. Es waren mehr als bloße Überbleibsel
untergegangener archaischer Denksysteme.
Im Gegenteil: Ebenso wie ein im Mittelalter geformtes Werkzeug noch im
19.Jahrhundert den Bedürfnissen eines Handwerkers genügen konnte, war der eine
oder andere alte Brauch oder Aberglaube auch noch von Bedeutung für seine
Hoffnungen, Ängste oder Bedürfnisse.
Die Vermischung christlicher Lehren mit Elementen eines aus
einer vorchristlichen Phase oder einer nichtchristlichen Kultur stammenden
Aberglaubens war im Grunde unvermeidlich, und schon die Missionare selbst
begannen damit: Statt die althergebrachten Bräuche ganz zu zerstören,
versuchten sie in der Regel eher,, sie in das Christentum zu integrieren, indem
sie ihnen eine für die Kirche akzeptablere Deutung gaben.
In allem Lebendigen wirkt das, was einst war, stetig weiter
und geht damit als ein Element in jede Gegenwart ein. Insofern bleibt die
Vergangenheit auch dann lebendig, wenn sie dem Bewusstsein entglitten ist.
Unser geschichtliches Wissen gründet sich nur zu einem geringeren Teil auf
unmittelbare Überlieferung. Meistens musste der Mensch es sich erst aufs neue
erobern, nachdem es lange schon verschüttet gewesen war. Immer wieder hat man
versucht dieses Dunkel „vor der Geschichte und aus der Geschichte ,“ zu
erhellen. Auch dann wenn zwischen unserem Dasein und der fernen Vergangenheit
keine Verbindung erkennbar ist, scheint uns ihre einstige Wirklichkeit mit
unserer eigenen Existenz verknüpft zu sein: sei es auch nur in dem Sinne, dass
in ihr eine Möglichkeit alles Menschlichen Gestalt gewonnen hat, die wir dann
auch in uns wiederfinden.
Womit wir bei der ätiologischen Überlieferung sind. Die
ätiologische Sage liefert eine „Erklärung“ für die Entstehung oder Herkunft
eines augenfälligen Wahrzeichens der örtlichen Umgebung, eines Ortsnamens oder
eines überlieferten Brauchs. Sie versucht auch die Elemente einer Landschaft
volkstümlich zu deuten, die einer Erklärung für den Menschen bedürfen. Für
Trippstadt wäre eine solche Sage „das Ritterfräulein und der junge Schäfer“,
die im Karlstal und dem Aschbacherhof spielt und die Legende des „Felsenweibes
aus dem Karlstal“. Beide Erzählungen haben das „steinige Karlstal“ und die
„Einsiedlerhöhle“ als hervorragendes Element dieser Landschaft in ihrem
Mittelpunkt.
Einige ätiologische Sagen lassen sich auf Grund von Angaben
in schriftlich überlieferten Quellen wie Chroniken oder Lebensbeschreibungen
von Heiligen oder etwa auf Grund des erstmaligen Vorkommens eines unverwechselbaren
Ortsnamens, der sich auf bestimmte Erzählungen bezieht, eindeutig als
mittelalterlichen Ursprungs erkennen (z.b.Ritterfräulein und junger Schäfer).
Nicht nur auffällige landschaftliche Merkmale, sondern auch
einzelne Bäume, Pfade, Kreuzungen (z,b. in dem Märchen: die Mutprobe von
Trippstadt), Felder und Teiche können Gegenstand solcher Erzählungen sein;
unter den Gebäuden sind es vorwiegend diejenigen, die im Gemeindeleben eine
zentrale Rolle spielen – Kirche, das Gasthaus, das Herrenhaus (Drückemännche)-
sowie diejenigen, die das eine oder andere außergewöhnliche architektonische
Kennzeichen aufweisen (hier: alter Turm auf dem Aschbacherhof- eingemeißelter
Hirtenstab und Flöte).
Alles, was den Blick auf sich zieht- von einer unleserlichen
Grabinschrift bis zu einer seltsamen Erscheinung an einem Gebäude- kann Neugier
und Phantasie anregen und somit zur Entstehung einer Sage beitragen. In den
Erzählungen kann das Übernatürliche eine Rolle spielen, ebenso gut können sie
aber auch jene vereinfachte Darstellungen, der nationalen und regionalen
Geschichte verkörpern, die im kollektiven Gedächtnis fortlebt. Oder sie können
sich mit alltäglichen Erscheinungen auseinandersetzen, mit Morden, Wilddieben,
Schmugglern, mit vergrabenen Schätzen (Wilenstein) oder allbekannten lokalen
Gestalten (Langensohler Märchen).
Des Rätsels Lösung?
Ich habe lange Zeit nach Überlieferungen gesucht, die mir
den Sinn des „steinernen Gesichts“ von Burg Wilenstein erklären konnte. In
Trippstadt wurde ich nicht fündig, doch habe ich solche primitive „Fratzen“
schon öfters in der Pfalz gesehen. Meines Erachtens kann es sich nur um einen
sogenannten „Abwehrkopf“ oder „Neidkopf“ handeln.
Abwehrköpfe sind in unserer Gegend weniger bekannt. Es gibt
sie aber schon seit vorchristlichen Zeiten, in vielen Teilen Deutschlands
finden wir sie vereinzelt, meistens in Holzbalken geschnitzt oder in Steine
oder Felsen gehauen. Es handelt sich hierbei um Abwehrdämonen. Ihre Anfänge
liegen mindestens in keltischer Zeit. Die Kelten betrieben einen religiösen
„Kopfkult“. Sie brachten an ihren späteren Kultbauten Steinköpfe an. Dieser
Brauch blieb so stark im Volk verwurzelt, dass in den ehemaligen
Keltengebieten, wozu auch unsere Gegend zählt, an Felsen, Burgen oder Steinen
diese „Abwehrköpfe“ weiterhin angebracht wurden.
Seit dem Mittelalter (der Brauch hat überlebt) nennt man sie
auch „Neidköpfe. Der Name kommt vom althochdeutschen Begriff Nid, der Hass,
Zorn oder Neid bedeutet. Der starre Blick dieser Gebilde soll die Menschen vor
Neid Verwünschungen und bösen Geistern bewahren. Vor allem in der alemannischen
Fasnacht hat sich der Brauch von „Neidköpfen“ bis heute erhalten.
Man ließ auch Menschen auf diese steinernen Gesichter
schwören da man davon ausging, dass Steine ewig halten, so sollte auch der
Schwur ein Leben lang gültig sein.
Nun muss unser „Wilensteiner Gesicht“ nicht aus der
Keltenzeit stammen, vielleicht ist es gerade einmal 100 oder 200 Jahre alt,
aber die Wurzeln führen eindeutig in keltische Zeiten zurück.
hukwa