Als kleiner Junge hatte ich in meinem Heimatort ein seltsames Erlebnis. Ich saß unter einer großen, mächtigen Fichte, es war die Zeit des Frühherbstes, der moosige Boden war voller Morgentau und Tausende silberner Spinnweben durchfunkelten den morgendlichen Wald. Ich schwänzte mal wieder die Schule und fühlte mich so richtig wohl, bei dem Gedanken an meine Pflichtbewussten Mitschüler, sollten die nur einmal lernen. Direkt vor mir wuchs ein herrlicher Fliegenpilz, er gefiel mir so gut, dass ich ihn ewig lange anstarrte, plötzlich regten sich in mir Gedanken, wie ich sie nie zuvor gedacht hatte. Ich wollte mit einem Male so sein wie dieser Pilz hier in seiner einzigartigen Schönheit, einfach nur Tag und Nacht an diesem Platz hier verweilen, den Liedern der Vögel lauschen, Rehe und Hasen beobachten, den gleitenden Flug des Bussards erspähen, ja dies war für mich etwas ganz Neues und Großartiges damals und dieser Gedanke hat mich mein Leben lang nicht mehr losgelassen, und oft habe ich später dieses Gefühl wieder in mir gefunden: Dieses in der großen Gemeinschaft mit Baum, Stein und Tier bin ich nicht alleine. Erst später wurde mir klar das jenes Erlebnis damals etwas mit dem Begriff denn wir Heimat nennen zu tun hatte.
Diese Erfahrung war so eindrucksvoll dass ich sie immer mit mir trage.
Nach meinen Lehr- und Wanderjahren wurde mir bewusst dass dieses Erlebnis so etwas wie ein philosophisch – heimatliches Schlüsselerlebnis für mich war. Heimat ist mir dort wo auch Wald ist. Nicht der hat am meisten erlebt der am weitesten gereist ist, sondern der das erforscht hat was man gemeinhin Heimat nennt, die äußere und innere Umgebung der Landschaft die er bewohnt.
Aristoteles meinte der Mensch sei dort zu Hause wo er am besten Denken kann, dem stimme ich zu und ich selbst kann am besten dort Denken wo der Wald am dichtesten ist, hier in dem Ort den ich mir als Heimat ausgesucht habe. Wo ein Kranz von Wäldern mein Heimatdorf warm umgibt. Vor über zwanzig Jahren zog ich in dieses Walddorf, wollte Anfangs nur mal vorrübergehend hier wohnen. Mit den Jahren wurde diese Landschaft zu meiner „zweiten Heimat“, wie man so banal dahinsagt.
Wie die alten Eichen und Buchen die hier wachsen, begann auch ich Wurzeln zu ziehen, begann dieses Stückchen Erde zu lieben und mich damit zu identifizieren. Die romantischen Quellen und Brunnen in den dunklen Wäldern von Trippstadt, die kleinen Bäche und dunklen Wooge singen das natürlichste Heimatlied dem man lauschen kann.
Entlang dieser natürlichen Wasserläufe gibt es viel zu beobachten. Das geschmeidige Gefieder des Eisvogels blitzt oft im Duster des Waldes auf, die Wasseramsel fliegt geschickt über den Wassern der Moosalb. Moose, Flechte und Farne verzaubern die Ufer des Waldbachs. Wie Trolle und Kobolde ragen abgestorbene Äste und Baumstümpfe aus dem eiskalten Wasser. Alte Bäume erzählen ihre Geschichte.
Das ist es was mir Heimat gibt, die Verbundenheit mit den Felsen, Pflanzen und Tieren meiner näheren Umgebung. Immer wenn ich hier wandere nähere ich mich dem Schlüsselerlebnis meiner Knabenzeit. Es gibt sie tatsächlich, jene besondere Orte in der Landschaft, wo die Zeit beinahe still zu stehen scheint, die einem ganz plötzlich und ohne Ankündigungen überraschen, vielleicht auch bestürzen oder bebend machen, Momente wo ich fühle hier bin ich zu Hause. Es kommt einem dann vor als wenn man von jemanden berührt oder umarmt wird, es ist der Moment wo der Ort oder die Landschaft zu uns spricht. Eben, die heimatliche Landschaft oder der Heimatort. Und wir wissen mit einem Mal hier möchte ich Leben, hier will ich Wurzeln schlagen. Vielleicht ist es ein innerer Zwang, ein „Back to the Roots“, das sich bemerkbar macht in uns.
Heimat ist auch ein Spiegel seelischer Prozesse in dem Innen und Außen, Vergangenheit und Gegenwart dicht ineinander verwoben sind. Heimat das ist für mich eine Synthese aus Ratio, Spiritualität und Verwurzelung mit der Erde über die ich täglich gehe.
Das Spirituelle an dem Begriff Heimat ist, das Heimat etwas ist wo ich mich nicht fremd fühle, es ist auch etwas das unsere Existenz erhellt, das Wort Heimat hat so etwas wie einen Wärmecharakter, ja, ich möchte behaupten Heimat ist ein Existential, eine Grundstruktur des menschlichen Seins. Jenen die diese Grundstruktur verloren haben fehlt etwas.
hukwa