Samstag, 2. Mai 2020

Geist und Natur


Foto©UteKW



Wie dieses Wesen beschaffen ist,
werden wir an geeigneter Stelle darlegen,
-insbesondere, dass es in der Kenntnis
jener Vereinigung besteht,
die der Geist mit der
Gesamtheit der Natur eingeht.
Benedict Spinoza – Die Ethik


„Zwischen uns und die Natur“, sagte Bergson, „legt sich ein dichter Schleier gewebt aus den Notwendigkeiten unseres praktischen Lebens“.
Wenn wir Natur in ihrem metaphysischen Grunde schauen, offenbart sie sich uns als eine höhere Wirklichkeit. In unserer oberflächlichen Erkenntnis der Naturerscheinungen, erkennen wir nicht die Wirklichkeit der Natur sondern nur einen deformierten Begriff von ihr. Wir erkennen nicht mehr die „schaffende Kraft“ die in ihr wirkt (Schelling). Auch nicht die Intelligenz die als Natur wirkt (Kant). Das Begreifen des Ganzen, der Natur in ihren Zusammenhängen, die für den Menschen Bedingung seiner Existenz sind, ist für Schelling nur im Wesensbegriff des Naturganzen denkbar.
In diesem „Naturschauen“ enthüllt sich dem der sich mit der Natur auf metaphysischer Basis auseinandersetzt, die wahre Realität und vermittelt eine Intensivierung des Lebensgefühls.
Metaphysik ist die erkenntnistheorethische Betrachtung der inneren Natur, das Gegenteil zur heutigen sinnfälligen und grobstofflichen „Außenseite“, die es ja in der Wirklichkeit überhaupt nicht gibt. Metaphysisches Denken ist das Erfassen des Wesenskern der Dinge, das - über das mechanische hinaus-gehende. Unter der Herrschaft dieses ausschließlich mechanischen Denkens verliert man den Blick dafür, dass sich unser Dasein in jedem Augenblick aus unserem Geist heraus und somit aus den Tiefen der Natur heraus erneuert. Schließlich ist der Geist mehr als die Summe unseres Denkens, er ist die Idee, das Eidos, das objektive Weltprinzip wie es Plato nannte. Dies hat besonders Hegel betont in dem er versuchte Geist und Natur zu verbinden. Am Schluss des ersten Bandes seiner „Enzyklopädie“ von 1830 über die „Wissenschaft der Logik“ schreibt er über diese Verbindung das ihm bewusst ist, dass Wirklichkeit sich im Denken konstituiert, so das wir entweder in gedankenloser Unmittelbarkeit eins mit der Natur sein können oder dass wir dazu verurteilt sind, wollen wir uns der Natur gedanklich annähern, uns über sie Gedanken zu machen.
Die Einheit mit der Natur ist also für den denkenden Menschen nichts anderes als uns in der Idee, dem Eidos wiederzufinden. Zu recht betonte Hegel immer wieder dass dem Menschen die Natur als Ganzes zu sehen nicht möglich ist. Dass Große Ganze ist nicht ganz schaubar doch es lässt sich er-ahnen. So kritisiert er auch die Unzulänglichkeit der physikalischen Erkenntnis und stellt ihr die Erfahrung der Natur entgegen, die von der kosmischen Einheit und Ganzheit ahnt. So begreift er die Natur als einen Spiegel des Geistes, der sich in der Natur selbst wiederfindet und in ihr einen Teil seiner selbst entdeckt. Hier besteht die Verwandtschaft zur platonischen Ontologie. Nach Hegel also erkennt der Geist in der Natur seine Freiheit und auf dem gleichen Weg gelangt die Natur ebenfalls zu ihrer Befreiung.
Dem großen Teil der Menschen ist es versagt geistig in die Natur einzudringen. Nachdem der menschliche Geist in der Evolution entstanden war, muss vom Menschen eine neue Evolution ausgegangen sein. In dieser begann er damit die Herrschaft über die Natur auszuüben und wie er den Planeten mit seinem Giftschleim überzogen hat wird uns heute Alptraumhaft bewusst. Der Gnadenstoß den man gegen die Natur führt wurde schließlich von den Positivisten durchgeführt. Diese angebliche „Erkenntnistheorie“, Positivismus genannt, besteht im wesentlichen in der Aussage, dass man in der Wissenschaft und der Philosophie sich nur auf Tatsachen stützen dürfte. Allgemeine metaphysische Begriffe und die Frage nach dem Sein lehnt der Positivismus strikt ab.
Bernhard Bavink, ein Gegener des Positivismus hat einmal gesagt: „Aller Positivismus sollte richtiger Negativismus heißen, denn er lebt ausschließlich von der Negation“ (1).
Der Positivismus will uns also das „Hohelied des Intellekts“ lehren, aber kein Mensch kann ein Leben führen das auf den reinen Intellekt reduziert ist:
Der reine Intellekt, von der Wesenheit des Menschen getrennt, bedeutet dessen Tod. Der Intellekt, der sich überschätzt indem er an sich selbst zu große Anforderungen stellt, der sich in anmaßendes Sich-Selbst-Genug-Sein flüchtet, veredelt den Menschen nicht; vielmehr demütigt und entpersönlicht er ihn“.
Durch diesen seelenlosen Intellekt den der Mensch als reines Denkvermögen gebraucht und nicht als ganzheitliches Organon, hat er die Naturvorgänge auf der Erde zum großen Teil zerstört.
Der Intellekt der ja nur ein Werkzeug des Geistes ist, hat sich von seiner Quelle abgeschnitten und lebt seither ein robotisches Dasein.
Selbst Bertrand Russel der Begründer des „logischen Atomismus“, hat dieses Gefühl so stark empfunden, dass er schrieb: „...ich muss, bevor ich sterbe, irgendeinen Weg finden, das Wesentliche zu sagen, das in mir steckt und das ich bislang noch niemals gesagt habe- etwas, dass weder Liebe noch Hass noch Mitleid noch Verachtung ist, sondern der Atem des Lebens selbst, wild und von weither kommend, der in das menschliche Leben die Unermesslichkeit und die schrecklich leidenschaftslose Gewalt des Nichtmenschlichen bringt“ (3).
Wohl jeder der sich etwas intensiver mit der Geschichte der Philosophie beschäftigt hat kennt das berühmte Fresko von Raffael: Die Schule von Athen. In diesem Gemälde zeigt Platon mit dem Finger zum Himmel, Aristoteles deutet in die Welt. Der Gegensatz tritt deutlich hervor. Platon, hat die Welt von „dem Einem“, vom Geist her zu denken versucht. Aristoteles geht den Weg andersherum: er hält sich an die empirische Realität, an die Sinneswahrnehmung, um von dort zur Idee aufzusteigen. Beide gehen zwar verschiedene Wege doch das Ziel ist dass gleiche: Die Einheit des Ganzen durch den einen Geist.
Friedrich Cramer schrieb einmal: „Wie und Warum ist Denken entstanden? Warum hat der Kosmos eine Gestalt und eine Physik, die auf uns Menschen passt? Wir werden solche Fragen nicht mit Hilfe der Physik beantworten können, aber die Physik hat uns geholfen, sie klar zu formulieren“(4).
Letzendlich kann diese Fragen nur die Philosophie beantworten.

hukwa





Literaturhinweise:

1.Bernhard Bavink: Ergebnisse und Probleme der Naturwissenschaft. Zürich1949. S.88f.
  1. G.Tucci: Geheimnis des Mandala.
  2. Brief an Constance Malleson,1918, zitiert in: My Philosophical Development. S.218.
  3. Friedrich Cramer: Anthropisches und entropisches Prinzip...in „Am Fluss des Heraklit“.