Mich wundert das in der modernen Goethe Forschung bisher so gut wie keine Textzeilen darüber auftauchen, dass Goethe sich Zeit seines Lebns als eine Wiederverkörperung des alten Merlin sah. Merlins Gestalt hatte für Goethe eine zutiefst archetypische Symbolkraft. In Gesprächen und Briefen identifizierte er sich immer wieder mit dem alten Zauberer. darauf hat wohl zum ersten Mal E.R.Curtis in seinem Aufsatz "Goethe, Grundzüge seiner Welt", nachdrücklich hingewiesen: "Wenn die Weihe der eleusinischen Mysten ein Analogon für Goethes Esoterik bietet, so darf man ein anderes in der Gestalt des Zauberers Merlin finden..." Curtius berichtet dann von jenem berühmten Gespräch in Dornburg, das uns der Kanzler von Müller überliefert hat: "In diesem Dornburger Gespräch am 29.April 1818, so fährt Curtius fort, "hatte sich Goethe ungewöhnlich aufgeschlossen gezeigt. Dem Denker, der die Jahrtausende überschaue, zeigten sich, so sagte er, einige allgemeine Formeln, die von je die Menschen mit Zauberkraft ergriffen hätten. Sie seien die geheimnisvolle Mitgabe einer höheren Macht im Leben. Wohl würden sie oft verdunkelt und mit Unlauterem vermischt. Aber ihre ursprüngliche Bedeutung tauche doch immer wieder auf, und der aufmerksame Forscher setzt sich aus solchen Formeln ein Alphabet des Weltgeistes zusammen..."
Noch 1830 bemerkte Goethe in seinem Brief an Zelter, sie stünden gleichsam an den entgegengesetzten Enden der Welt. Zelter sei in die kreiselnde Bewegung der volkreichen Königstadt Berlin verschlungen, "indessen ich einsam, wie Merlin vom leuchtenden Grabe her, mein eigenes Echo ruhig und gelegentlich in der Nähe, wohl auch in der ferne vernehmen lasse." Man sieht, wie eine Symbolgestalt Goethes Geist durch mehr als fünf Jahrzehnte begleitet, weil er einen Aspekt seiner selbst in ihr erfasst. Merlin ist für Goethe das bedeutsame Gegenstück zum Faust.
hukwa